Ich will zeigen was alles möglich ist – Sarahs Geschichte

21. Oktober 2022 – Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag von Sarah

Ja, ich habe vor zwei Jahren im Alter von 26 die Diagnose Brustkrebs bekommen und ja, etwas Schlimmeres hätte ich mir nicht vorstellen können. Mir sind die Haare ausgefallen, habe zehn Kilogramm zugenommen, sehr lange Zeit einen ganzen Mops weniger gehabt und sämtliche Kondition und Kraft verloren. Wie scheiße Krebs ist, hat mit Sicherheit jeder, der nun auch auf meinen Bericht gestoßen ist, bereits in aller Ausführlichkeit gelesen, gehört oder sogar selbst erfahren. Daher habe ich mir überlegt, was ich denn Positives über meine Zeit seit der Diagnose berichten kann.

Zuallererst einmal sind mir da meine neuen Freundschaften eingefallen, die ich durch den Krebs geschlossen habe. In dem Krankenhaus, in welchem ich meine 16 Chemos erhalten habe, gab es in der Tagesklinik einen Raum nur für gynäkologische Krebspatientinnen. Unser Schicksal ähnelte sich also sehr, auch wenn wir selbst sehr unterschiedliche Frauen waren. So waren wir über die Zeit beispielsweise eine junge, türkische Mutter Ende 30, welche sich schwer mit unserer Sprache tat, eine Doktorin für deutsche Literatur um die 60 Jahre alt, welche seit ihrer Diagnose sehr auf ihre Ernährung achtete oder auch eine super stylische Omi mit Anfang 80, welche in ihrem passenden Jogginganzug und den weiß-pinken Sportschuhen tausend Mal besser bei jeder Chemo aussah als ich die restlichen, gesunden Tage des Jahres. Und dann war da noch ich, mit gerade einmal 26 Jahren das Küken der Frauentruppe. Auch wenn wir teilweise in unterschiedlicher Regelmäßigkeit anwesend waren, so kannte man sich eben dann doch ganz gut nach der Zeit, Tropf an Tropf im Krankenhaus. Unsere Chemogruppe war für mich eine sehr große Stütze. Man ist durch den Krebs (und in der Zeit, in der ich erkrankte, auch noch durch Corona) sehr isoliert und hat sowieso nur wenige Kontakte. Man konnte schon fast sagen, dass man sich auf die regelmäßigen Treffen einmal die Woche oder alle zwei Wochen sogar schon freute, da man dort die Gelegenheit hatte, andere zu treffen und sich auszutauschen. Wir brachten Essen mit, teilten es, ließen das Radio laufen, um der drückenden Stille zu entkommen und standen uns stets mit Rat und Tat zur Seite. Jeder durfte immer seine Sorgen erzählen und wenn jemand von uns Fragen hatte oder Hilfe brauchte, waren die anderen da. Wir freuten uns miteinander, wenn eine ihre Therapie erfolgreich beendete. Und wir halfen aktiv den neuen, welche frisch mit der Diagnose Krebs in unsere Chemorunde kamen. Noch heute stehen wir im Austausch und halten den Kontakt. Die Freundschaften mit all diesen unterschiedlichen Frauen, welche dort entstanden, sind nicht in Worte zu fassen und ich bin dankbar um jede einzelne. Und so kann ich nur jedem selbst empfehlen, den Kontakt in der Gruppe zu suchen und auch anderen Hilfe und Trost zu schenken. Denn das, was einem solch eine Gruppe gibt, ist unbezahlbar!

Neben diesen Freundschaften, die in dieser Zeit entstanden, hat sich auch beruflich viel während meiner Krebszeit bei mir getan. Meine Diagnose erhielt ich im Januar 2021, als ich gerade mitten in der Prüfungsphase des ersten Semesters meines eben erst begonnenen Masterstudiums an einer für mich neuen Hochschule steckte. Zuvor studierte ich berufsbegleitend, also am Wochenende, und unter der Woche hatte ich einen normalen Vollzeit-Job als Sachbearbeiterin. Für den Master in Vollzeit ließ ich mich damals für 1,5 Jahre von meinem Arbeitgeber freistellen. Vor mir lagen zum Zeitpunkt der Diagnose noch über 2/3 meines Studiums. Meine Ärztin sagte mir damals, ich könne mein Studium abbrechen und solle mich ganz auf meine Genesung konzentrieren. Das erste Semester konnte ich zwischen Krankenhausbesuchen und Therapieorganisation gerade noch so bestehen (dank der großartigen Unterstützung meiner Freunde und Kommilitonen sogar mit einem Schnitt von 1,7 – es ging also eher um die Art und Weise und nicht um das Ergebnis 😉), da lag eigentlich nur noch ein Semester mit Prüfungen vor mir und dann eben noch eines für die Masterthesis. Nach etwas hin und her überlegen meinerseits entschied ich dann so viel wie möglich weiterzumachen im Sommersemester neben meiner Chemo. So war es mir möglich, im Sommer die Hälfte der vorgesehenen Kurse erfolgreich abzuschließen. Im Wintersemester folgten dann nach meiner Operation, der Bestrahlung und während der noch andauernden Tablettenchemo noch zwei weitere Prüfungen und so konnte ich im Sommer 2022 endlich meine Masterthesis beginnen. In der Zwischenzeit hatte ich bereits mit meiner Anti-Hormon-Therapie begonnen, welche wirklich auch kein Zuckerschlecken ist! Außerdem gab es noch ein für mich offenes Modul, welches ich während meiner Thesis noch zu bestehen hatte, dann galt es nur noch die Thesis auch abzugeben. Und wie zu erwarten, schaffte ich auch das!

Letztendlich schaffte ich es, meinen Master dann eben in vier statt drei Semestern mit einer Gesamtnote von 1,8 abzuschließen und das Ganze während einer sehr intensiven und langwierigen Krebstherapie. Dazu möchte ich noch sagen, dass ich während meiner Therapie und während meines Studiums eben noch schnell meinen Job gewechselt hatte. Mit etwas Glück ergatterte ich einen tollen Job im Dezember 2021 mit 20 Stunden pro Woche, nicht mal ein Jahr nach der Diagnose, weniger als 10 Monate nach Therapiebeginn und noch mitten in der Tabletten-Chemo-Phase. Diesen Job durfte ich dankenswerterweise zu 100% im Home-Office ausüben, was in meiner Situation verhinderte, dass mir die Decke auf den Kopf fällt. Es war wohl meine Art und Weise mit der Situation umzugehen: beschäftigt bleiben! Aus meinem neuen Job heraus hat sich nun auch noch eine anschließende Vollzeitstelle für nach meinem Studium ergeben, welche ich nun schon begonnen habe und mit welcher ich sehr glücklich bin!

Was ich damit sagen möchte, ist, dass Krebs kein Grund sein muss, Pläne aufzugeben oder Pläne nicht weiter zu verfolgen. Für mich war es stets wichtig so zu denken und zu planen, dass es wieder eine Zeit geben wird, in der es mir gut gehen wird und ich fit sein werde. Es war für mich keine Option mich in Trauer zu stürzen, abzuschotten oder gar aufzugeben. Und darauf bin ich sogar sehr stolz.

Zum Schluss kann ich noch Folgendes voller Freude verkünden: Mein Partner, welcher schon vor meiner Erkrankung an meiner Seite war, ist heute immer noch an meiner Seite und er hat mich im Dezember 2021 sogar gefragt, ob ich ihn heiraten möchte. Wir sind nun also verlobt! Und das Ganze ohne Haare, mit zehn Kilogramm mehr auf den Rippen, zeitweise einem ganzen Mops weniger und ohne Kraft und ohne Kondition. Und dafür bin ich sehr dankbar!

Ich hoffe sehr, dass euch mein Beitrag zeigt, was alles möglich ist und dass Krebs kein Grund sein muss, sich selbst aufzugeben. Ich wünsche jedem, der diesen Beitrag liest, alle Kraft dieser Welt!

Alles Liebe,

Sarah