Ein Gastbeitrag von Pia
Im April 2015 entdeckte meine Gynäkologin einen dicken Knoten unter meiner Achsel. Mir ging es zu der Zeit super. Ich machte viel Sport, freute mich auf den neuen Job an einer anderen Uni und den Umzug in eine andere Stadt. Dass ich ernsthaft krank sein könnte? Unvorstellbar für mich. Allerdings reagierte meine Ärztin sofort, was sich für mich als großes Glück erwies. Denn als der Knoten einige Wochen später entfernt wurde, stellte sich heraus, dass es die Metastase eines malignen Melanoms (schwarzer Hautkrebs) war. Trotz zahlreicher Untersuchungen, die folgten, konnte mein Primärtumor nicht gefunden werden. Ich bin mir sicher, dass mein Immunsystem den Tumor erkannt und aufgelöst hat. Aber auch wenn ich keine weiteren Metastasen hatte, zählte ich als Hochrisikopatientin. Es folgten weitere OPs, Bestrahlung und 12 Monate Hochdosis-Immuntherapie mit Interferon. Während ich zuversichtlich in die Therapie startete, wurden meine Ambitionen bald einem knallharten Realitätscheck unterzogen. Statt meine Doktorarbeit zu schreiben und an der Uni zu arbeiten, zog ich wieder bei meinen Eltern ein, da ich meinen Alltag kräftemäßig nicht alleine bewältigen konnte. Keine leichte Entscheidung kurz vor dem 30. Geburtstag, während meine Freund:innen die ersten Kinder bekamen, die Welt erkundeten oder jobtechnisch durchstarteten. Besonders hat es mir in dieser Zeit gefehlt, dass ich nicht reisen und keinen Sport machen konnte. Und auch meine Unabhängigkeit zehn Jahre nach dem Auszug von zu Hause wieder aufzugeben, war gar nicht so einfach. Trotzdem war es für mich absolut die richtige Entscheidung, während der Therapie nicht alleine zu wohnen. Ohne die Unterstützung meiner Eltern, meiner Schwester und meiner Freund:innen hätte ich die lange Zeit der Therapie mit den enormen Nebenwirkungen nicht durchgehalten.
Während der Therapie hat mich der Wunsch getragen, wieder einen normalen Alltag zu haben und in mein altes Leben zurück zu kehren. Aber als ich dann endlich mit der Therapie fertig war, stand ich vor den nächsten Herausforderungen. Körperlich war ich viel zu schlapp, um wieder das Leben einer 30-jährigen zu führen. Abgesehen davon hatte die Welt sich in den anderthalb Jahren seit meiner Diagnose weitergedreht. Und selbst wenn es mein altes Leben noch gegeben hätte: ich hatte mich verändert und hätte gar nicht mehr hineingepasst. In dieser Zeit hat mir das Segeln unglaublich viel Kraft gegeben. Auf dem Meer war meine Müdigkeit – die an Land seit der Therapie mein ständiger Begleiter war – wie weggeblasen. Gemeinsam mit den anderen Mitseglern, die ähnliche Erfahrungen wie ich gemacht hatten, konnten wir die Herausforderungen auf dem Meer bewältigen. Endlich hatte ich wieder etwas, was mit guttat und mir neue Kraft gab. Dann habe ich mir Stück für Stück mein neues Leben aufgebaut. Meine Geduld wurde dabei immer wieder auf die Probe gestellt, weil mir das alles nicht schnell genug ging. Oft habe ich an dem gezweifelt, was mir vor der Erkrankung wichtig war. Vieles erschien mir plötzlich so oberflächlich und unwichtig. Manches aus meinem alten Leben hat nun auch in meinem neuen Leben einen Platz gefunden und bei anderen Sachen haben sich meine Wünsche und Bedürfnisse geändert.
Und heute, sieben Jahre nach der Diagnose? Das Thema Krebs ist nicht einfach weg nach der Therapie. Die Folgen der Erkrankung merke ich, wenn ich mich nach der Arbeit hinlegen muss, um mich auszuruhen, wenn ich zur Physio gehe, wenn ich bei der Kanutour nicht paddeln kann oder bei einer langen Wanderung nicht mitmache, weil meine Kondition nicht mehr die Alte geworden ist. Aber daneben gibt es so unendliche viele Dinge, die ich wieder machen und genießen kann. Diese Dinge weiß ich heute viel mehr zu schätzen als früher und genieße sie sehr. Ich habe wieder einen normalen Alltag (zumindest ist es für mich das neue Normal). Ich gehe arbeiten und freue mich an den kleinen und großen Abenteuern des Lebens. Ich habe meine Doktorarbeit trotz der langen Unterbrechung durch die Krebstherapie abgeschlossen und bin dieses Jahr verbeamtet worden. Und manchmal schmunzele ich innerlich, wenn ich merke, dass ich mir über Kleinigkeiten den Kopf zerbreche. Irgendwie auch ein schönes Gefühl, dass ich mir über so alltägliche Sachen wieder Gedanken machen kann.