Ein Gastbeitrag von Clara
Salut, ich bin Clara mittlerweile 24 Jahre alt und dachte, ich erzähle mal von meiner Krebsgeschichte, von Höhen und Tiefen und der Schönheit des Lebens, wenn man es wiederhat.
Alles fing Anfang 2019 an, da war ich gerade einmal 20. Ich war aus meinem Freiwilligendienst in Paris zurückgekehrt und hatte angefangen zu studieren und mich in meiner Unistadt Kiel richtig wohlzufühlen. Und dann kamen diese schlimmen nicht ganz lokalisierbaren Unterleibschmerzen. Mit diesen habe ich mich zu einem Allgemeinmediziner geschleppt, der mich zu einem Urologen überwies, da zunächst von einer Harnwegsinfektion ausgegangen wurde. Der Urologe hatte dann bemerkt, dass meine Schmerzen eher vom Rücken kommen, aber dank eines Ultraschalls gesehen, dass an meinen Geschlechtsorganen etwas nicht stimmt. Also hat anschließend ein Orthopäde eine Blockade in meinem Rücken gelöst und die Schmerzen waren weg (die mir aber offensichtlich das Leben gerettet haben).
Dann hatte ich den ersten Gynäkolog*innen-Termin meines Lebens. Und tadaa die Gynäkologin hat einen „wunderschönen“ 10 cm großen Tumor an meinem linken Eierstock gesehen und gesagt, dass dieser auf jeden Fall operativ entfernt werden müsse.
Aber ich solle keine Angst haben denn: „Eierstockkrebs kriegen doch nur alte Frauen und zu 99% ist das Ding gutartig.“ (An dieser Stelle sollte erwähnt werden, wie doof ich nun mittlerweile Statistiken finde und wie dankbar ich über diese Rückenblockade im Nachhinein bin).
Also wurde mir eine Woche später dieser Tumor entfernt. Ich hatte das Glück in der Parkklinik in Kiel operiert worden zu sein. Diese Klinik ist echt ein Schatz unter den Krankenhäusern von Deutschland. Und zwei Wochen später kam dann der Anruf: „Es tut mir leid, aber ich habe keine gute Nachricht für Sie. Der Tumor war doch bösartig (ein Dysgerminom). Sie müssen eine Chemotherapie machen.“
Irgendwie hat mich das zu dem Zeitpunkt noch überhaupt nicht berührt und ich habe zwei Wochen lang Verdrängungstherapie mit super vielen verschieden Aktivitäten betrieben. Ich glaube, dass ich zunächst einfach schockiert war und es nicht realisieren konnte. Aber dann ist es plötzlich auf mich eingeprasselt. Ich habe zwei Tage nur durchgeweint und dann mental entschieden, dass ich meine anstehende 4-Zyklus PEB Chemo nicht in diesem psychischen Zustand überleben werde. Deshalb habe ich mich mit aller Kraft psychisch wieder auf ein gutes Level gekämpft und meine Chemotherapie überstanden. Das war, wie man sich denken kann sehr schwierig. In meinem 4. Zyklus war ich psychisch und körperlich wirklich am Ende. Aber ich habe es geschafft.
„Ich hatte während der Therapie unglaublich tolle Menschen um mich herum.“
Meine Mutter hat sich von ihrer Arbeit krankschreiben lassen und ist extra für mich nach Kiel gekommen. Dort hat sie 3 ½ Monate in meiner Studentenbude auf einer Matratze auf dem Boden geschlafen. Nur um mir eine ambulante Chemogabe, in meiner Unistadt, wo ich mich mittlerweile zu Hause fühlte zu ermöglichen und mich bei allem zu unterstützen. Sie wusste, wie sehr ich in der Therapiezeit den sozialen Kontakt zu meinen Freund*innen brauchen werde. Während der Chemotage konnte ich jedoch nicht so wirklich Besuch ertragen, aber in den kurzen chemofreien Zeiten haben mich sehr viele tolle Menschen besucht.
Ich glaube ich hatte mit meinem Umfeld richtig großes Glück. Genauso, wie mit dem Brustzentrum Kiel-Mitte, in dem ich meine Therapie gemacht habe. Ja, ich habe mich dort oft verloren gefühlt, zwischen den ganzen alten Leuten bei der Chemo, aber die Mitarbeitenden und insbesondere mein Onkologe, sind einfach unersetzlich gewesen. Die ärztliche (und auch in gewisser Weise menschliche) Betreuung dort passte irgendwie genau zu meiner Persönlichkeit und war das, was ich brauchte.
Was außerdem für mich immer ein Grund ist, um zum Leben ja zu sagen, ist mein Glaube an Gott. Der ist ein absolutes Standbein, seit ich denken kann. Ohne meine Gebete hätte ich das nicht so gut überstanden.
Das Leben aus einem anderen Blickwinkel
Nach meiner Therapie erlebte ich dann drei Monate, in denen ich gefühlt zwei Meter über dem Boden geschwebt bin. Ich war so unglaublich glücklich über mein wiedergewonnenes Leben. Ich glaube das sagt so gut wie jeder Mensch, der schon solch schwere Zeiten durchlebt hat. Dass man das Leben nun aus einem ganz anderen Blickwinkel sieht. Das ist bei mir auch so.
Ich gelte seit dem Ergebnis meiner Kontroll-OP, seit dem 23.10.2019 nun als krebsfrei. Dieser Tag wurde zu meinem Wiedergeburtstag auserkoren.
Ich habe wieder ganz normal angefangen zu studieren und mein Leben als Studentin zu genießen (was natürlich von Corona noch einmal überschattet wurde). Psychisch habe ich heute immer mal wieder Probleme mit der Verarbeitung der Krankheit, insbesondere vor Nachsorgeuntersuchungen. Auch körperlich merke ich, wie ich mich ein bisschen verändert habe. Aber das ist alles kein Grund für mich nicht zu LEBEN.
Ich war für ein Erasmussemester in Brest in Frankreich und momentan in einem Praktikum in Besançon und kann es gar nicht glauben, dass das jetzt wirklich meine Realität ist. Dieses Semester hat mir noch einmal aufgezeigt, wie sehr ich absolut wieder im Leben stehe, nur 3 Jahre nach meinem Lebenstiefpunkt. Ich habe so viel Lebensenergie und Entdeckungsfreude und Lust viele Menschen aus verschieden Kontexten kennenzulernen. Das konnte mir mein Krebs nicht nehmen. Wahrscheinlich hat er diese Gefühle nur noch mehr verstärkt.
Ich weiß, dass dieser Krebs ein Teil meiner Lebensgeschichte ist und gehe damit, auch wenn ich neue Menschen kennenlerne, ganz offen um. Eine Freundin, bei der ich mich Anfang dieses Jahres entschuldigte, dass ich sie vor meiner Nachsorge so sehr wegen meiner Ängste zugetextet habe, sagte nur: „Naja, das hat man einfach, wenn man eine Freundschaft mit dir eingeht, mitgekauft und das ist ja auch gut so.“ Und Gott sei Dank sind wegen dieser Geschichte doch bisher nur relativ wenig Menschen vor mir weggelaufen.
LEBEN macht einfach Spaß.