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Bianca und Fred – eine Geschichte über Mut, Stahlkraft und einen ungebetenen Untermieter 

13. November 2025
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Gastbeitrag

Bianca´s Geschichte

 

Bianca arbeitete gerade konzentriert an ihrer Masterarbeit im Bauingenieurwesen, als sie von ihrem „Hausbesetzer“ erfuhr. So strukturiert, analytisch und zuversichtlich, wie sie sonst ihre beruflichen Ziele verfolgte, stellte sie sich auch dieser neuen, unerwarteten Herausforderung – entschlossen, den ungebetenen Schmarotzer in ihrem Kopf hinauszuwerfen. 

„Im November 2024 fing alles mit leichtem Schwindel an. Kein Drama. Ich war mitten in meiner Masterarbeit – dachte an Stress, zu viel Bildschirmzeit oder zu wenig Kaffee. Ich bin niemand, der gleich an das Schlimmste denkt. Ich baue. Ich rechne. Ich mache weiter. Doch am 6. Februar 2025 kam in Freiburg die Diagnose: Hirntumor. Da war kein Platz mehr für Verdrängung oder Beschönigung – nur noch Klartext. 

 

Aber mein Ehrgeiz war größer als Fred, wie ich den Tumor später nannte. Mein Kolloquium? Das habe ich kurzerhand vorgezogen – am 18. Februar, bevor irgendjemand in meinem Kopf herumschneidet. Ich bin stur und Bauingenieurin – kein Tumor hält mich von meinem Abschluss ab. Die OP war ursprünglich für den 21. Februar angesetzt, wurde aber auf den 24. verschoben. Fred wollte offenbar noch einmal tief durchatmen. Am 28. Februar folgte dann die genaue Diagnose: Astrozytom Grad 4 – eine hochaggressive Form des Glioblastoms. Nicht nett. Aber, ganz ehrlich: Ich bin’s auch nicht, wenn man mir in die Quere kommt. 

Eigentlich wollte ich am 1. März allein nach Australien und Neuseeland reisen – sechs Wochen Abenteuer, nur für mich. Stattdessen fuhr ich an diesem Tag aus der Klinik zurück nach Siegen. Mit frischer Narbe, leerem Rucksack und vielen offenen Fragen. Australien wurde derweil von Zyklon Alfred getroffen. Ich nenne das göttliche Ironie – oder Freds beleidigten Racheakt, weil er nicht mitdurfte. 

Auf der Intensivstation, noch voll unter Medikamenten, habe ich ›BIR‹ von Mehnersmoos gesungen. Mit voller Inbrunst. Mein Freund schenkte mir später ein Shirt der Band – darauf ein Gehirn, das mit einem Hammer bearbeitet wird. Mein Humor applaudierte. Das Shirt wurde mein treuer Begleiter während der 30 Bestrahlungseinheiten: 23 in Siegen, 7 in Marburg am MIT. 

 

Die eigentliche Arbeit passierte aber in meinem Kopf. Jeden Tag stellte ich mir vor, wie Fred dort lag – winzig, gekrümmt, wie ein Baupfusch in der letzten Ecke eines Plans. Ich sprach mit ihm. Sagte ihm, dass ich ihn nicht mag. Dass er gehen muss. Und dann lief mein innerer Baufilm: Mein Stammhirn, mein Innenohr, meine Sehbahn, meine Haarwurzeln – alle perfekt abgeschirmt durch Schutzwände, Strahlenschilde, präzise Statik. Nur Fred blieb ungeschützt. Die Strahlung traf ihn gezielt, wie Abrissbirnen ein einsturzreifes Gebäude. Mit jeder Einheit zerbröckelte er mehr – wurde zu Staub, zu Partikeln, zu Nichts. Fred zahlte keine Miete und wurde restlos rausgeschmissen! 

Heute habe ich Einschränkungen. Ich brauche einen Rollator im Alltag – und ja, ich nehme ihn mit auf Feiern und Festivals. Weil ich mein Leben feiere. Weil ich da bin. Weil es nichts gibt, was mich davon abhält, mitten im Geschehen zu stehen – auf eigenen Beinen oder eben auf Rädern. 

 

Durch die Bestrahlung sind mir teilweise die Haare ausgefallen. Also habe ich mir eine Perücke besorgt. Und ehrlich: Ich liebe sie. Mit ihr bin ich mal Khaleesi, mal Elsa – so sagt jedenfalls eine gute Freundin. Und sie hat recht. 

Ob mit oder ohne Perücke – ich fühle mich stark. Weil ich mich nicht über das definiere, was fehlt, sondern über das, was bleibt. Und das bin ich. 

Ungebremst. Unverkennbar. Und vor allem: unaufhaltbar.“