Ein Gastbeitrag von Pauline
Als mir im Juni 2019 der leitende Onkologe im Krankenhaus zu meiner Krebsdiagnose gratulierte, dachte ich, ich wäre im falschen Film. „Da haben Sie aber Glück! Wenn man sich einen Krebs aussuchen kann, dann Ihren!“ hatte er gesagt und mich angelächelt.
Heute weiß ich, warum. Damals fühlte sich alles an wie ein einziger Alptraum. Ein halbes Jahr vorher war ich das erste Mal mit Brustschmerzen in der Notaufnahme gelandet. Es schlossen sich jede Menge Fehldiagnosen, Physiotherapien und Experimente mit verschiedenen Schmerzmitteln und Antibiotika an. Nichts half. Als ich irgendwann ununterbrochen hustete und kaum noch eine Treppe hochkam, wurde mein Brustkorb geröntgt (bei jungen Frauen wartet man damit – leider – so lange wie möglich). Da war der Tumor zwischen Lunge und Herz schon so groß, dass er auf Nerven und Wirbel drückte. Diagnose: Morbus Hodgkin Lymphom. Lymphdrüsenkrebs.
Ab da an ging alles Schlag auf Schlag. Krankenhaus. Biopsie. Hormontherapie. Eizellenentnahme. Portimplantation. Chemotherapie. Radiotherapie. Ich hatte eine Vollnarkose nach der anderen. Wofür ich vorher Monate gebraucht hatte, ging jetzt binnen Tagen.
Viele Gedanken und Fragen
Ich war 33 Jahre alt, hatte immer gesund gelebt, Sport gemacht, nicht geraucht. „Warum ich? Warum habe ausgerecht ich so ein Pech? Womit habe ich das verdient?“ waren die Fragen, die sich unablässig in meinem Kopf drehten. Und dann war da natürlich noch die alles entscheidende Frage: „Werde ich das überleben?“
Ich habe während dieser Zeit viel geschrieben. Darüber, was passiert war, wie es meinem Körper damit ging und was mein Kopf dazu sagte. Das hat mir sehr bei der Verarbeitung geholfen und viele Stunden während der Chemotherapie und in Wartebereichen überbrückt.
Oft saß ich währenddessen neben Menschen, die das Schicksal noch viel härter getroffen hatte. Menschen, die schon viele Jahre gelitten hatten, die der Krebs ein zweites oder drittes Mal heimgesucht hatte, denen nur noch wenige Jahre blieben. Und während ich mich mit ihnen unterhielt und ihren Geschichten zuhörte, kam sie wieder: die Frage nach dem Warum. Nur, dass ich sie mir jetzt auf eine ganz andere Weise stellte: „Warum ich? Warum habe ausgerechnet ich so ein Glück? Womit habe ich das verdient?“ Ich wusste, wenn alles gut geht, werde ich wieder komplett gesund. Dieses Glück haben die meisten Menschen, die man in der Onkologie trifft, leider nicht. Die alles entscheidende Frage wurde deshalb bald zu: „Was werde ich jetzt aus meinem Leben machen?“
Mein Glück
Heute, fast 3 Jahre später, kann ich sagen: Ich hatte unfassbares Glück. Ich habe sowohl die Chemo als auch die Bestrahlung ohne größere Nebenwirkungen überstanden. Ich kann wieder Vollzeit arbeiten, überall hinreisen und alles machen, was ich möchte. Zusammen mit meinem Freund habe ich mir nach der Therapie einen Transporter gekauft und ihn zu einem Campervan ausgebaut. Wir sind damit quer durch Europa gefahren, haben Berge bestiegen, in Meeren gebadet und die Freiheit genossen. Ich denke oft an die Menschen in der Onkologie zurück und empfinde dabei große Demut und Dankbarkeit. Im Frühling diesen Jahres habe ich erfahren, dass ich schwanger bin. Ganz natürlich, einfach so. Das Baby ist gesund und kommt, wenn alles gut geht, Weihnachten zur Welt. Wieviel Glück kann man haben?