Mama und die „Chemo-Kasperl“ – Katharinas Geschichte

15. September 2022 – Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag von Katharina

Im Oktober 2020 fiel ich aus allen Wolken, als mich der Rheumatologe bei der Erstvorstellung dort mit den Worten: „Nein, Rheuma ist das nicht. Sie haben etwas anderes“ zum Radiologen überwies. Ich war damals 36 Jahre alt, hatte wenige Tage zuvor einen neuen Job angefangen, fühlte mich entsprechend beschwingt und war vor dem Arzttermin sogar noch beim Sport gewesen. Meine Hausärztin hatte drei Monate davor bei mir eine Polymyalgia rheumatica als Verdachtsdiagnose in den Raum gestellt und angefangen mich mit Prednisolon zu behandeln. Ab der ersten Dosis ging es mir gut. Die Schmerzen, die mich zuvor monatelang gequält hatten, waren damit ja im Griff. Nur zur Mitbetreuung hatte sie mich gebeten, mir einen Rheumatologen zu suchen.

Als gesetzlich versicherte Patientin hatte ich auf einen Termin beim Spezialisten natürlich drei Monate warten müssen. Ab diesem Termin ging alles rasend schnell und wie im Zeitraffer. Weder mein Mann noch ich kamen gedanklich und emotional hinterher. Eine Entscheidung nach der anderen musste getroffen werden.

Der Rheumatologe hatte selbst noch den Kontakt zu den betreuenden Ärzten in der nahen Uniklinik hergestellt. Zuhause angekommen, erreichte mich bereits ein Anruf des Oberarztes der Station, auf der ich aufgenommen werden sollte. Er meinte, er hätte ein Bett frei, wann ich da sein könne. Es galt also keine Zeit zu verlieren.

Da waren aber ja noch unsere beiden Jungs, damals fast sieben und gerade mal dreieinhalb Jahre alt.

Von ihnen konnte ich mich an diesem Tag nicht einmal verabschieden, da sie zu dieser Zeit in der Schule und im Kindergarten waren. Ich wollte auch nicht riskieren, sie noch mehr zu verunsichern, indem ich ihre Routine unterbrach. Was hätte ich ihnen auch sagen sollen. Ich wusste ja selbst nicht, was auf mich zukommen würde und wann ich wieder nach Hause kommen könnte. Also fuhr mich ein guter Freund in die Klinik. Mein Mann blieb zuhause, um da zu sein, wenn die Kinder nach Hause kämen. Und … weil er mir ehrlich gesagt nicht in der Verfassung schien, mich überhaupt fahren zu können…

In der Uniklinik stand schnell fest, dass es sich um ein schnellwachsendes B-Zell-Lymphom handelte, das leider zu lange nicht erkannt worden war, so dass es in meiner Lunge zu einer stattlichen Größe von 12 auf 6 cm anwachsen hatte können. Die Behandlung wurde schnell geplant und alles in die Wege geleitet.

Ich selbst funktionierte nur. Ich konnte und musste nicht Weinen, ich haderte nicht einmal mit der Situation oder dem Schicksal. Ich nahm es seltsamerweise einfach an. An die Psychologin, die mich in der Uniklinik an einem der ersten Tage auf Station besuchte, hatte ich nur eine Frage: Wie und was soll ich meinen Kindern sagen?

Schon am nächsten Tag organisierte sie mir einen Termin bei ihrer Kollegin, einer auf Kinder spezialisierte Psychologin. Das war rückblickend gesehen unser größtes Glück!

Ihr wichtigster Tipp für mich und für uns in dieser schwierigen Zeit:

EHRLICH UND AUTHENTISCH SEIN UND BLEIBEN

Kinder sind sehr feinfühlige Menschen. Sie spüren, wenn mit uns, etwas nicht in Ordnung ist. Ich durfte erfahren, dass (meine eigenen und auch unsere befreundeten) Kinder mit einer besonderen Offenheit mit allem umgehen. So auch mit meiner Erkrankung und der Behandlung. Krebs ist etwas, das man in der Regel nicht lange verstecken kann. Durch die meisten Chemotherapien wird es sichtbar: viele von uns verlieren ihre Haare. Kinder nehmen Veränderungen wahr und haben Fragen. Es war so wichtig, meinen Kindern zu signalisieren: EGAL WAS : FRAGT! Redet mit uns! Alles ist erlaubt!

Eine Krebs-Diagnose ist ein so einschneidendes Ereignis, das sich auf die gesamte Familie auswirkt. Man kann als Eltern noch so versuchen wollen, „die Kinder zu schonen“ – sie werden spüren, dass etwas anders ist. Für unsere Kinder war es sehr wichtig, dafür Worte zu haben. Durch unsere Offenheit wussten sie, dass auch sie zu jedem Zeitpunkt kommen konnten mit ihren Fragen und davon hatten sie viele.

Jeder von uns ist mit der Situation anders umgegangen. So auch unsere Kinder: Während der Kleine ganz offensichtlich verliebt war in seine glatzköpfige Mama, fiel es unserem Großen schwer, damit umzugehen. Aber ich war unglaublich stolz auf ihn, dass er sich nie scheute, mir zu sagen, dass es ihm lieber war, wenn ich eine Mütze trug, wenn seine Freunde in der Nähe waren.

Auch ein wichtiger Tipp der Kinderpsychologin war, den Kindern nicht in Aussicht zu stellen, dass mit dem Ende der Akutbehandlungen „alles wieder gut“ sein würde. Ich selbst hatte ja „das Ende“ so herbeigesehnt. Aber die Diagnose und die Behandlungen haben ihre Spuren hinterlassen. „Der/Die Alte“ ist man so schnell nicht mehr. Vielleicht mag man das auch gar nicht mehr ganz werden. Für unsere Kinder war es wichtig zu wissen, dass egal, was der Krebs mit unserem bekannten Familienleben gemacht hat, er doch eines nicht verändern kann: Die Liebe zueinander und dass wir gemeinsam stark sind.

Man sollte nicht erwarten, dass man die Kinder vor etwas „schützen“ könne, wenn man ihnen Dinge vorenthält. Wenn man eine kindgerechte(!), dem Alter entsprechende Art findet, ihnen auch solch schwere Themen näherzubringen, dann kann aus diesem Vertrauen, das man ihnen damit entgegen bringt, etwas tolles werden!

Die schönsten Aussagen und Tipps in dieser Zeit, die mich am meisten motiviert haben, kamen von meinen zwei Kindern! Ohne sie hätte ich das alles nicht so gut überstanden!

Kleiner Tipp

Für alle mit kleineren Kindern (ab etwa 3 bis ca. 8 Jahre) kann ich euch das Buch „Chemo-Kaspar“ der Deutschen Kinderkrebsstiftung sehr empfehlen. Für uns war es damals ein Geschenk, das uns die Kinderpsychologin mitbrachte. (Chemo – Kasper deutsch – Deutsche Kinderkrebsstiftung)

Zum Vorlesen wäre es für unsere Kinder nicht geeignet gewesen. Daher die Empfehlung, jedes Buch zu diesem Thema vorab alleine durchzulesen. Aber die Abbildungen waren für unsere zwei sehr hilfreich, sich vorzustellen, was da passiert in Mamas Körper und welche Wirkungen und Nebenwirkungen die Arbeit der „Chemo-Kasperl“ haben kann.

Auch die YouTube-Videos der Deutschen Krebshilfe zum Thema „Strahlentherapie“ beispielsweise kann ich sehr empfehlen. Für Kinder in diesem Alter war dies eine wunderbare Art, sich bildhaft vorzustellen, was an Behandlung und deren Folgen auf mich und auf uns als Familie zukommen würde.