Ein Gastbeitrag von Patrick
Vor 5 Jahren ist es passiert. Mein Körper hat mich angegriffen. Er wollte mich einfach umbringen oder Selbstmord begehen. So genau weiß man das bei Verräterzellen – wie ich meinen Hodenkrebs nannte – nicht. Das war ein gewisser Vertrauensbruch. Ich dachte wir sind in einem Boot.
Wie alles begann
Am 11.01.2018 war ich an drei aufeinanderfolgenden Tagen mit Bauchschmerzen in verschiedenen Berliner Notaufnahmen. Ich hatte Angst und merkte, dass etwas nicht stimmt. Ich wollte den Ärzten vertrauen, dass es nur eine Magenverstimmung sei. Die Schmerzen und die Ängste wurden allerdings jeden Tag schlimmer. Vor meinem dritten Gang zur Notaufnahme, rief ich nachts sogar das Berliner Krisentelefon an, weil ich dachte, dass ich verrückt werde. Die Schmerzen waren dann aber in allen Positionen zu stark.
Noch absurder wurde es, als ein Krankenpfleger mir ganz am Anfang zum Spaß in der Notaufnahme sagte, „Sie haben sicher Krebs“. Er wollte mich aufheitern und einen Scherz machen. Sicherlich nicht so wild. Als ich nach einigen Ärzten zu einem Professor gerufen wurde, war mir klar: ich komme heute nicht nach Hause. Stattdessen wurden innere Blutungen festgestellt. Noch am gleichen Tag war eine Notoperation fällig. Einen Tag später bekam ich meine Krebsdiagnose: Chorionkarzinom in einem kleinen Bauchhoden, eine sehr seltene Form und außergewöhnliche Konstellation.
Ein aggressiver Hodenkrebs hat eine Vene im Bauch getroffen und es war noch etwas vorhanden. Nach der Diagnose lag ich geschwächt im Krankenbett und hatte Angst. Was heißt das? Was muss ich nun machen? Neben mir lag ein älterer Herr, der schon einmal Prostatakrebs hatte, ein junger Mann mit einem Verdacht auf eine Lebermetastase nach Hodenkrebs und ein weiterer älterer Mann mit Blasenkrebs im Endstadium und Blasenkatheter.
Nach dem ersten Schock war mir klar: Du musst in die Offensive gehen. Natürlich hatte ich Angst vor der Chemo, vor OPs, vor der Zukunft. Ich war durch den starken Blutverlust geschwächt. Natürlich gab es einen Vertrauensverlust bezüglich der Ärzte. Was klar war, ich wollte mich nicht von den Verräterzellen besiegen lassen. Ich suchte den Kampf.
Ich brauchte einen Plan. Und dafür musste ich mich informieren und Kampfgefährten finden: Ärzte. Ich musste ihnen vertrauen, wenn sie mich aufschneiden. Ich musste ihnen vertrauen, wenn sie mir eine giftige Chemotherapie verabreichen. Ich musste der modernen Medizin und meinen Körper vertrauen, der mich vorher angegriffen hatte. Mein Job war nun, dass ich gesund werde.
Der Plan hat funktioniert. Die Verräterzellen wurden vernichtet.
Nach 4 Monaten Chemotherapie und einer weiteren Bauchoperation war der Krebs besiegt. Der körperliche Aufbau und die mentale Verarbeitung haben noch ein wenig gedauert. Es war ein langer Prozess, der zumindest mental immer noch anhält. Ich habe immer noch leichte Nebenwirkungen.
Natürlich hatte ich im doppelten Sinne Glück.
Erstens hätten die Ärzte und ich ohne die lebensgefährliche innere Blutung den Krebs nicht so früh gefunden. Dadurch hat er keine großen Metastasen gebildet. Trotzdem war die Behandlung kein Zuckerschlecken.
Zweitens war es „nur“ Hodenkrebs. Ein Krebs der relativ einfach operiert werden kann und bei dem die Chemo sehr gut anschlägt. Daher keine Angst Männer: Grault euch die Eier und geht zum Urologen, wenn etwas komisch ist. Ich weiß, dass viele Männer Bedenken haben. Das Schlimmste ist, nichts zu machen.
Die Krebs-Erfahrung hat mich in den letzten 5 Jahren beschäftigt und geprägt. Ich habe nach meiner Erkrankung angefangen einen Blog zu führen, um die Erlebnisse zu verarbeiten und anderen Patienten Informationen zukommen zu lassen. Der Blog hat mich in Kontakt mit einigen Krebserkrankten gebracht, denen ich bei der Chemo wenigstens virtuell mit Antworten beistehen konnte. Durch Corona ist so ein Krankenhausaufenthalt während einer Chemo eine sehr einsame Sache geworden.
Was bleibt?
Zwei Aspekte lassen mich aber nicht los: Ängste und Vertrauen. In meinem Fall in andere Menschen und in meinen Körper. Ich habe immer noch Angst vor Rückfällen oder anderen Krebsarten. Auch vertraue ich meinen Körper nicht wirklich. Das Vertrauen in Menschen ist kein Problem. Ich weiß das die moderne Medizin kompliziert ist. Trotzdem ist sie mein Partner und Verbündeter gewesen.
Gerade in Coronazeiten habe ich wenig Toleranz, wenn Ärzte und moderne Medizin, wie Krebsbehandlung oder Impfungen, verunglimpft werden. Natürlich hat die Chemotherapie Nachteile. Es ist Gift. Allerdings hilft sie. Daher ist es kein Grund Misstrauen oder Lügen über diese Behandlungsmethoden zu verbreiten. Wer Krebserkrankten indirekt Schuld an ihrer Krebserkrankung und problematischen Heilung gibt, weil er sagt „Du musst nur positiv denken“ oder „du hättest dich so oder so ernähren sollen“, ist raus. Diese Menschen sollen nicht ihre eigenen Ideologien und Vorstellungen auf andere abwälzen.
Es gibt viele (gute) medizinische Studien und Statistiken und noch viel mehr komische Meinungen. Aber gerade junge Erwachsene mit Krebs wissen, dass Statistiken egal sind, wenn du selbst betroffen bist. Deshalb habe ich versucht mich als aufgeklärten, mitdenkenden Patienten zu verstehen. Ärzte wissen nicht alles und machen Fehler. Trotzdem sind sie unser Verbündeter. Am Ende musst aber du Entscheidungen treffen, die weitreichende Folgen haben können.
Das Vertrauen in meinen Körper ist ein anderes Thema. Es liegt an mir dieses zu verbessern. Ich lese immer wieder Artikel von anderen Krebspatienten, wie anders und positiver sie auf ihr Leben schauen. Bei mir hat dieser Effekt ebenfalls eingesetzt. Die mentalen Narben wirken nach. Natürlich ist nicht alles positiv. Wichtig ist die Erfahrung anzuerkennen und mitzunehmen.
Die Ängste vor einem Rückschlag oder neuem Krebs kommen immer mal wieder. Ich mache mir manchmal Gedanken, dass mein Körper nicht mehr so fit ist. Natürlich ist er geschwächt worden. Es gilt nach vorne zu schauen und sich um seinen Körper und seinen Geist zu kümmern. Ängste verschwinden nicht einfach so, daran muss ich arbeiten. Ich versuche es. Wobei Yoda sagte, tu es. Das ist andere Geschichte.
Was will ich sagen, wenn ich über Ängste und Vertrauen spreche?
Der Körper steht oft im Mittelpunkt und leidet unter Krebs und dessen Behandlungen. Die mentale Dimension so einer Erkrankung ist nicht zu unterschätzen. Jeder geht mit dieser Herausforderung anders um. Darum finde ich es sehr spannend, wie andere Krebserkrankte mit diesen Fragen umgehen. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist dafür eine gute Plattform. Ich habe durch meinen Blog viele Patienten kennengelernt. Der Austausch ist erfüllend, wenn man anderen Menschen mit Wissen ein wenig Sicherheit geben kann oder nur Fragen beantwortet.
Das Leben nach einer Krebserkrankung kann sich verändern. Der Blick auf den Körper und auf den eigenen Geist wird geschärft. Bei mir hat das nicht in allen Bereichen zu Veränderung geführt. Alte Gewohnheiten sind stark. Trotzdem hat mich die Erfahrung bereichert. Mein Alltag dominiert mein Leben und das ist gut, ich will nicht dauernd an Krankheiten kennen.
Der Krebs begleitet mich trotzdem in meinem Kopf, wenn ich Ängste habe, mich kleinere Nebenwirkungen an die Chemo erinnern oder ich meinen Körper nicht ganz vertraue. Diese Gedanken anzugehen, ist Teil meines Lebens. Daran bin ich gewachsen.
Außerdem habe ich interessante Menschen durch meine Erkrankung kennengelernt und auch ein bisschen was über das Leben gelernt. Am Ende möchte ich persönlich noch einigen Personen danken, auch wenn es schon 5 Jahre her ist: Meinen Vater und meinem Bruder, Lisa, Andreas H. & der MSN!
In Gedanken an die, die es nicht geschafft haben.
Das Leben geht bei mir zum Glück weiter und bleibt rot-schwarz.