Lena´s Geschichte

Es war eine dieser Lebensphasen, die eigentlich unter Babygeruch, Kuscheldecken und durchwachten Nächten stehen sollte – unser zweites Kind war gerade geboren, meine kleine Familie versuchte sich neu zu sortieren und ich war mittendrin in diesem zarten, fordernden, magischen Chaos, das das Wochenbett eben mit sich bringt.
Dass ich ausgerechnet in dieser Zeit spürte, dass etwas in meinem Körper nicht stimmte, versuchte ich anfangs noch zu übergehen. Ich schob es erst einmal auf eine harmlose Nachwirkung der Geburt, irgendetwas, das sich wieder geben würde, wenn nur genug Zeit vergeht. Doch es verging keine Zeit. Zumindest nicht ohne zunehmende Schmerzen, Unsicherheit und das Gefühl: Das hier ist etwas anderes.
Was dann folgte, war eine lange Kette aus Untersuchungen, aus vorsichtigen Formulierungen. Die ersten Arzttermine bestätigten zunächst meine Annahme, dass es sich um etwas Harmloses handle, vielleicht eine Hämorride oder eine Thrombose.
Aber es wurde nicht besser. Mein Gynäkologe war der erste Arzt, der das Wort Tumor aussprach. Jedoch sehr vorsichtig, mit dem Hinweis, dass es nichts Schlimmes bedeuten muss. Er überwies mich zu den Kollegen aus der Chirurgie.
Es folgte der erste Eingriff. Aber auch die Chirurgen gingen zu diesem Zeitpunkt davon aus, es sein nichts Bösartiges. Meine Parameter stimmten nicht: Mitte 30 frischgebackene Mama – keine typische Patientin für Krebs. Jedoch blieb aus ärztlicher Sicht keine andere Möglichkeit mich von den Schmerzen zu befreie, als eine Operation.
Einige Zeit später kam die Diagnose und mein Leben wurde zerteilt in ein Davor und Danach: HPV-bedingter Analkrebs – eine seltene Form, bekannt dafür, dass sie schleichend, fast heimlich wächst. Leise, aber zerstörerisch.
Der Moment, in dem alles kippt
Ich glaube, es gibt diesen einen Moment, in dem sich alles ändert. Bei mir war es nicht die Diagnose an sich – es war die Geste meines Arztes, der mich spüren ließ, dass es ernst wird. Und ich wusste sofort: Ich kann das nicht aufhalten. Ich muss jetzt da durch.
Es folgten Monate voller Krankenhausaufenthalte, Rückschläge, Schmerzen. Direkt nach der ersten OP entwickelte sich eine Fistel, die nicht heilen wollte – ein paar Tage später wurde mir in einer Notoperation ein Stoma gelegt. Ich hatte keine Zeit, mich darauf vorzubereiten. Keine Broschüre, kein Vorgespräch, kein mentales Ankommen. Plötzlich war da dieser Beutel an meinem Bauch. Und mit ihm das Gefühl, meinen Körper nicht mehr zu kennen.

Wenn Heilung Nebenwirkungen hat, die niemand sieht
Die anschließende Radiochemotherapie hat mir das Leben gerettet. Aber sie hat auch vieles in mir zerstört. Meine Fruchtbarkeit. Meine Sexualität. Teile meines Darms, meiner Schleimhäute, meiner Nerven. Ich bin in die Wechseljahre gekommen, obwohl ich gerade erst 36 war. Und ich habe gelernt, wie es ist, sich täglich mit einem Körper zu arrangieren, der nicht mehr funktioniert wie früher – und
der trotzdem mein Zuhause bleibt.
Heute lebe ich mit dauerhaften Spätfolgen. Manche sichtbar, andere nicht. Die meisten Menschen sehen nur die Oberfläche. Aber das, was Krebs mit sich bringt, sitzt oft tiefer. In der Seele, im Alltag, in der Art, wie man sich selbst wahrnimmt. Und trotzdem: Ich bin da. Ich bin wieder im Leben. Anders – und unendlich dankbar.
Was bleibt
Ich erzähle meine Geschichte nicht, weil ich Mitleid möchte. Sondern weil ich glaube, dass sie gehört werden muss. Weil ich weiß, wie viele Betroffene schweigen, weil sie sich schämen. Und weil ich fest davon überzeugt bin, dass Aufklärung über HPV, Früherkennung und das offene Sprechen über Erkrankungen wie Analkrebs Leben retten kann. Meins wurde gerettet. Und auch, wenn der Preis hoch war – ich bin dankbar, dass ich heute schreiben kann: Ich lebe. Ich liebe. Ich wachse.
Und ich möchte anderen zeigen: Du bist nicht allein.
