Berlin, 19. August 2022 – In der gestrigen Sitzung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) haben Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung die Finanzierung der Eierstockgewebekonservierung bei Mädchen mit Krebs vor der Pubertät verhindert. An ihrer Stimmenmehrheit ist die Befürwortung durch die unparteiischen Mitglieder, die Patientenvertretung, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Fachgesellschaften gescheitert. Jetzt hat nur noch das Gesundheitsministerium die Möglichkeit einzugreifen.
Im Mai 2019 hatte der Gesetzgeber mit der Änderung des § 27a SGB V die Fruchtbarkeitserhaltung vor keimzellschädigender Therapie durch Kryokonservierung von Keimzellen oder Keimzellgewebe zur Kassenleistung erhoben. Zur Umsetzung des Gesetzes ist jedoch eine Richtlinie des G-BA notwendig.
Die Kryokonservierung von Eierstockgewebe ist für einen Teil der jungen Frauen mit Krebs eine hervorragende Methode zur Fruchtbarkeitserhaltung. Für Mädchen vor der Pubertät ist sie die einzig mögliche medizinische Maßnahme auf diesem Gebiet. Durch spätere Wiedereinsetzung des konservierten Gewebes kann der natürliche Zyklus hergestellt werden, und es ist eine Empfängnis auf natürliche Weise möglich. Das Verfahren ist führend in Deutschland entwickelt worden.
Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung vereint im Widerstand
In der gestrigen öffentlichen Plenumssitzung des G-BA scheiterte die Finanzierung dieser medizinischen Maßnahme an den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Die unparteiischen Mitglieder des G-BA, die Patientenvertretung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft hatten sich ebenso wie die medizinischen Fachgesellschaften für eine Finanzierung ausgesprochen.
Festzustellen ist, dass es für die betroffenen jungen Mädchen bisher relativ wenig Erfahrungen mit der Eierstockgewebekonservierung gibt. Festzustellen ist jedoch auch, dass für diese Mädchen keine Alternativen zur Verfügung stehen, um die Aussicht auf eigene Kinder nach der Heilung zu erhalten.
Der Ablauf der Debatte war ab heute in der Videoaufzeichnung der G-BA-Sitzung in der Mediathek des G-BA zu verfolgen (Zeit 43:23 bis 50:44). Die Live-Übertragung am gestrigen Tage war gestört.
Der unparteiische Vorsitzende des G-BA, Prof. Josef Hecken, wies in der Diskussion auf ein Schreiben der Fachgesellschaften hin, in dem die Finanzierung der Kryokonservierung für die Mädchen vor der Pubertät noch einmal befürwortet wird. Das Schreiben wurde von der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie (GPOH), der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sowie von der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs unterzeichnet. Hecken führte darüber hinaus die kürzlich veröffentlichten Leitlinien aus Frankreich und Japan an. Sie empfehlen ebenfalls die Konservierung von Eierstockgewebe bei Mädchen vor der Pubertät bei bevorstehender keimzellschädigender Therapie.
Dr. Bernhard Egger, Leiter der Abteilung Medizin beim GKV-Spitzenverband, antwortete für die Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung: Die japanische Leitlinie befürworte zwar die Kryokonservierung für die Mädchen vor der Pubertät, stufe sie jedoch als experimentell ein. Die französische Leitlinie empfehle die Kryokonservierung nicht nur für die Mädchen vor der Pubertät, sondern auch für die Jungen vor der Pubertät. Kassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung fühlten sich in ihrer ablehnenden Haltung durch die Leitlinien bestätigt. Die Logik der letzteren Aussage blieb unverständlich.
Bei Stimmenmehrheit von Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung mit 7,5 zu 6,5 Stimmen wurde anschließend die Richtlinie OHNE die Kryokonservierung von Ovarialgewebe für die Mädchen beschlossen.
Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung folgen mit ihrer Ablehnung der gleichen Linie wie bei der Verabschiedung des ersten Teils der Richtlinie im Dezember 2020. Damals lehnten sie die Finanzierung der Eizellkonservierung für Mädchen unter 18 Jahren ab. Das Argument war damals, dass die Zulassung der dafür notwendigen Medikamente nicht ausreichend sei. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs wies in diesem Zusammenhang auf eine Studie aus den USA hin, in der die Sicherheit und Effektivität der Eizellkonservierung bei Mädchen unter 18 Jahren nachgewiesen worden war.
Wie geht es weiter?
Mit der gestrigen Abstimmung über die Richtlinienergänzung werden Mädchen vor der Pubertät von der Kryokonservierung von Eierstockgewebe ausgeschlossen. Die Richtlinie muss allerdings noch vom Gesundheitsministerium genehmigt werden und wird erst danach im Bundesanzeiger veröffentlicht. Das Gesundheitsministerium hätte also die Möglichkeit einzugreifen und die nicht im Gesetz vorgesehene Einschränkung auf ein unteres Alter abzulehnen.
„Wir hoffen sehr, dass man sich doch noch eines Besseren besinnt und den Mädchen vor der Pubertät diese Chance auf eine eigene Familie nach Heilung ihrer Krebserkrankung nicht nimmt“, sagt Prof. Dr. med. Mathias Freund, Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. Er fährt fort: „Leider wissen die Beteiligten im G-BA, dass die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit durch die langwierigen und schwer zu durchblickenden Prozesse im G-BA Grenzen hat. Wir sind daher für eine Verkürzung der Fristen auf maximal ein Jahr, die Stärkung der Patientenvertretung und eine Veröffentlichungspflicht der Entwürfe von Richtlinien. Mehr Transparenz ist die Voraussetzung für eine dringend notwendige intensivere öffentliche Diskussion!“
Eine gute Nachricht ist, dass die Kryokonservierung von Eierstockgewebe für Mädchen und Frauen nach der Pubertät endlich – mehr als drei Jahre nach dem Gesetz – in die Richtlinie für die Finanzierung aufgenommen worden ist. Hier ist allerdings für die Frauen ab 18 Jahren noch die Formulierung der Abrechnungsziffern erforderlich. Hierfür hat der Ausschuss Ärzte/Krankenkassen nach der Veröffentlichung der Richtlinie im Bundesanzeiger noch einmal sechs Monate Zeit. Eine Finanzierung durch die Kassen ist daher vor dem 1.1.2023 nicht zu erwarten.
Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs
Jedes Jahr erkranken in Deutschland nahezu 16.500 junge Frauen und Männer im Alter von 18 bis 39 Jahren an Krebs. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist Ansprechpartnerin für Patient:innen, Angehörige, Wissenschaftler:innen, Unterstützer:innen und die Öffentlichkeit. Die Stiftungsprojekte werden in enger Zusammenarbeit mit den jungen Betroffenen, Fachärzt:innen sowie anderen Expert:innen entwickelt und bieten direkte und kompetente Unterstützung für die jungen Patient:innen. Die Stiftung ist im Juli 2014 von der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. gegründet worden. Alle Stiftungsprojekte werden ausschließlich durch Spenden finanziert. Die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs ist als gemeinnützig anerkannt.
Spendenkonto der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs:
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