„Ehre beruht weder auf Titeln noch Orden, sie liegt in den Taten und in deren Beweggrund.“
Gustave Courbet
Nachruf auf Professor Dr. med. Mathias Freund
* 4. August 1949 in Schellerten
† 8. September 2023 in Hamburg
Professor Dr. med. Mathias Freund bei der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland am Bande im Hamburger Rathaus am 13. Juni 2022 (Foto: Michael Oldenburg, DGHO e.V.)
Die DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V. trauert gemeinsam mit der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs um ihr Ehrenmitglied Professor Dr. med. Mathias Freund.
Professor Mathias Freund studierte, gefördert durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes, von 1968 bis 1974 Humanmedizin an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. 1976 erhielt er die Approbation als Arzt, promovierte bei Professor Vetter und begann seine Assistenzarzt-Ausbildung bei Professor Waller in Tübingen. 1981 legte er ebendort seine Facharztprüfung als Internist mit der Teilgebietsbezeichnung Hämatologie und Onkologie ab. Es folgte eine kurze Episode als Assistent und Vertreter seines Vaters, der in eigener Praxis tätig war. Von 1982 bis 1994 war Professor Mathias Freund als Arzt an der Medizinischen Hochschule Hannover in der Abteilung von Professor Poliwoda tätig, ab 1984 als Oberarzt und ab 1992 als Außerplanmäßiger Professor, nachdem er sich 1988 ebendort habilitiert hatte. Im Oktober 1994 folgte er dem Ruf auf das Ordinariat an die Klinik für Hämatologie und Onkologie der Universitätsmedizin Rostock, deren Leiter er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2012 war.
Als Arzt und Hochschullehrer, als Forderer und Förderer erschuf Professor Mathias Freund eine Rostocker Hämatologie-Schule, die nicht nur auf die Vermittlung von Fachwissen und praktischen Fähigkeiten abzielte, sondern vor allem auch die ärztlich-wissenschaftliche Neugier wecken sollte. Differentialdiagnostisches Denken war ihm dabei besonders wichtig, ebenso wie die Liebe zum Mikroskopieren. Das Gedächtnis von Professor Mathias Freund war exzellent: So berichtete er oftmals von Krankheitsbildern, die er während seiner Zeit in der Klinik, aber auch in der Praxis seines Vaters oder auf seinen Auslandsreisen gesehen hatte.
Professor Mathias Freund hat unzählige Ärztinnen und Ärzte ausgebildet, motiviert und inspiriert, die heute in tiefer Dankbarkeit auf diese prägende Zeit zurückblicken.
Professor Mathias Freund sprühte stets vor Energie und war Innovationen sehr offen gegenüber eingestellt. Er schuf Neues, egal wo er wirkte, an der Medinischen Hochschule in Hannover waren es wesentlich der Aufbau der Leukämiestation und der Knochenmarktransplantationseinheit, in Rostock dann ebenso. Seine vielfältigen zukunftsorientierten und kreativen Ideen ließen ihn zu einem der maßgeblichen Akteure bei der nachfolgenden Errichtung des Biomedizinischen Forschungszentrums Rostock werden. Wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiet der akuten und chronischen Leukämien, Lymphome, Zytokine, Hämostaseologie, Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation, Stammzellforschung und Regenerativen Medizin sowie die Organisation von nationalen und internationalen Kongressen machten Professor Mathias Freund zu einem der international bekanntesten deutschen Hämatologen und Onkologen. Über 300 Zeitschriftenartikel sowie zahlreiche Monografien und Beiträge in Herausgeberbänden zeugen von seinem wissenschaftlichen Engagement.
Professor Mathias Freund war ein ganz besonderer Mensch, eine einzigartige Persönlichkeit. Er war ein exzellenter, breit ausgebildeter Arzt, der sein Wissen nie für sich behielt, es stets weitergab und damit sein Umfeld sehr motivierte. Das Wohl seiner Patientinnen und Patienten hatte dabei immer oberste Priorität. Ihnen fühlte er sich unermüdlich verpflichtet. Insbesondere die Nöte und Sorgen von jungen Patientinnen und Patienten mit Krebs in der Bundesrepublik Deutschland lagen ihm am Herzen. So gründete er 2010 in Rostock den Arbeitskreis „AYAROSA“ und rief mit beispiellosem Engagement, nahezu grenzenloser Fantasie und Kreativität sowie herausragendem Einsatz zusammen mit der DGHO im Jahre 2014 die „Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs“ ins Leben. Professor Mathias Freund war einer der Ersten, der die dringende Notwendigkeit erkannte, die Laien- und Fachöffentlichkeit für die spezifischen Problemlagen von jungen Erwachsenen mit Krebs zu sensibilisieren sowie medizinische und gesundheitspolitische Aufklärungsarbeit zu leisten. Durch sein unermüdliches Engagement als Pionier auf diesem Gebiet wurden durch die Stiftung eine bundesweite Anlaufstelle für junge Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen etabliert und wichtige Unterstützungsangebote geschaffen. Hier ist es ihm ganz besonders gelungen, einerseits einen guten persönlichen Kontakt zu den Betroffenen aufzubauen und kontinuierlich zu pflegen und andererseits die richtigen Gremien im Gesundheitswesen zu aktivieren. Durch seinen nimmermüden und von hoher Sachkenntnis getragenen Einsatz im gesundheits- und sozialpolitischen Umfeld erreichte Professor Mathias Freund, dass die Kosten für fruchtbarkeitserhaltende Maßnahmen vor keimzellschädigenden Therapien seit Juli 2021 von den Gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden.
Hervorzuheben ist sein langjähriges ehrenamtliches Engagement für die DGHO, als Sekretär und Schatzmeister von 1996 bis 2012, als Geschäftsführender Vorsitzender von 2013 bis 2015 sowie als Mitglied des Beirats von 1990 bis 1996 sowie ab 2016. Professor Mathias Freund initiierte, insbesondere zusammen mit Professor Gerhard Ehninger, viele neue Eckpfeiler unserer Fachgesellschaft: die Gründung des DGHO-Hauptstadtbüros, die Onkopedia-Leitlinien, die Gesundheitspolitische Schriftenreihe, feste Kongressrotationen und vieles mehr. Sein Kenntnisreichtum, seine Innovations- und Überzeugungskraft sowie sein solidarisches und kämpferisch unbeirrbares Handeln führten zur Verbesserung der gesundheitspolitischen Sichtbarkeit der DGHO und zur Stärkung der Bedeutung des Fachgebiets. Von 1996 bis 2013 war er zudem Vorsitzender der Krebsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern. Im Rahmen der Zertifizierung Onkologischer Zentren nach den seinerzeitigen Kriterien der DGHO leitete Professor Mathias Freund eine Vielzahl an Audits in der gesamten Bundesrepublik Deutschland.
Neben vielen anderen Funktionen war er bis zuletzt als Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs tätig. Für seine Bemühungen um die Aufarbeitung der Geschichte der DGHO und ihrer Rolle in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur sowie sein Engagement für junge Erwachsene mit Krebs wurde Professor Mathias Freund im Jahr 2022 mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland am Bande ausgezeichnet.
Professor Mathias Freund war nicht nur ein exzellenter Kliniker, sondern auch ein Hochschullehrer, der zum Nachdenken anregte. Man konnte unheimlich viel von ihm lernen, aber man musste sich dann auch aktiv auf seine persönliche und nicht immer nur einfache Art der Wissensvermittlung einlassen. Er liebte die offene und ehrliche Diskussion und den fundierten Schlagabtausch sowohl in der klinischen Diagnostik aber auch in seinen politischen Rollen im Rahmen der Fachgesellschaft und des Gesundheitssystems. Es bleibt auch in Erinnerung, wie er dabei mit dem einen oder anderen auch mal intellektuell seinen Spaß getrieben hat, aber immer im Sinne der guten Sache. Dabei aber war ihm persönliche Profilierung tief zuwider. Hierarchien hatte er schon in seiner stürmischen Studentenzeit in Tübingen hinterfragt. So waren ihm vielmehr Attribute wie Ehrlichkeit und Offenheit sowie Menschlichkeit und vorausschauendes Denken in seinem Umfeld wichtig. Traf er auf das Gegenteil, scheute er es nicht, vehement und beharrlich diese Einstellung einzufordern und für seine Position zu werben.
Auf Statussymbole legte er weniger wert; es waren – im besten Wortsinne – die inneren Werte, die für ihn zählten. Er hatte immer ein offenes und empathisches Ohr, wenn Menschen in seinem Umfeld Probleme hatten oder von abenteuerlichen Reisen sowie spannenden Erlebnissen berichteten. Er war bereits zu Studienzeiten mit seinem alten, mit technischem Geschick selbst ausgebauten Mercedes-Bus durch die Lande gefahren und hatte Afrika sowie Asien bereist. Die Neugierde auf neue Kulturen und Gesellschaften behielt er sein Leben lang. Manch ein Telefonat nach der Emeritierung begann mit dem Satz: „Es könnte sein, dass die Verbindung schlecht ist, ich bin gerade unterwegs in …“. Viele Orte, die er liebte, hat er in jüngster Zeit erneut bereist und begeistert davon berichtet. Einmal erzählte Professor Mathias Freund, dass er in der Wüste die Milchstraße gesehen hat. Seine tiefe Dankbarkeit für dieses Erlebnis war sofort spürbar.
Wir verlieren mit Professor Mathias Freund einen außergewöhnlichen Menschen, einen Visionär mit immensem Kenntnisreichtum, einer Fülle an zukunftsorientierten Ideen und unermüdlichem Tatendrang, der sich durch seine Unbeugsamkeit, Charakterstärke, Geradlinigkeit, Empathie und große Bescheidenheit zeigte. Sein Lebenswerk zeichnet sich dadurch aus, dass er dort, wo er wirkte, nicht die Nachteile und Probleme bedauerte, sondern immer Chancen erkannte und diese nutzte, um wichtige Neuerungen und Verbesserungen zu erwirken. Wir vermissen „unseren Freund“, der mit eigenständigem und mutigem Blick und klarem Urteil – dabei aber nie aus Prinzip auf eine vermeintlich richtige Meinung pochte – durch die Welt gegangen ist und sich seinem ärztlichen Selbstverständnis und dem Wohl seiner Patientinnen und Patienten stets verpflichtet gefühlt hat.
Im Rahmen der Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland am Bande schrieb Professor Mathias Freund an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs: „Ich sehe das nicht so sehr als eine Auszeichnung für meine Person, als vielmehr als eine sehr große Auszeichnung für die Sache.“
Wir sind ihm zutiefst dankbar und werden Professor Mathias Freund ein ehrendes Andenken bewahren.
19. September 2023