Fallstrick: Vorzeitiges Ende des Krankengeldes
Die Krankenkassen können das Krankengeld bereits vor Ablauf der 78 Wochen beenden.
Hintergründe für die vorzeitige Beendigung des Krankengelds und Folgen für Versicherte
Die Krankenkassen können das Krankengeld bereits vor Ablauf von 78 Wochen beenden, wenn ein vorrangiger Sozialleistungsanspruch besteht, der zum Ruhen oder zum Wegfall des Krankengeldanspruchs führt. Das heisst, dass statt Krankengeld andere (und meist niedrigere) Sozialleistungen oder Rente gezahlt wird.
Eine besondere Bedeutung hat dies an der Schnittstelle zu Leistungen der Rentenversicherung. Die Krankenkasse besitzt nämlich die Befugnis, den Betroffenen zur Stellung eines Antrags auf Reha-Leistungen der Rentenversicherung aufzufordern.
Die möglichen Folgen:
- Dieser Antrag kann sich u. U. automatisch in einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente umwandeln.
- Des Weiteren verdrängt während der Reha-Leistung das in der Regel niedrigere Übergangsgeld den Krankengeldanspruch.
- Die Betroffenen verlieren durch das Ende des Krankengelds die Möglichkeit auf weitere Beitragszeiten für die Rentenversicherung und werden daher eine geringere Altersrente haben.
Aufforderung durch die Krankenkasse zur Beantragung von Leistungen zur Teilhabe (Reha) Ablauf bei der Krankenkasse
Krebserkrankte können durch die Krankenkassen nach § 51 SGB V aufgefordert werden, bei der Rentenversicherung (RV) einen Antrag auf „Leistungen zur Teilhabe“ (=Reha-Antrag) zu stellen.
Voraussetzung ist eine erhebliche Gefährdung oder Minderung der Erwerbsfähigkeit des versicherten Krankengeldbeziehers. Dafür ist ein schlüssiges ärztliches Gutachten notwendig. Es kann dieses durch einen Arzt des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse (MdK) erstellt werden, aber auch durch jeden anderen Arzt. Das Gutachten kann auf Akten und medizinischen Unterlagen beruhen.
Die Aufforderung der Krankenkasse, den Reha-Antrag zu stellen ist ein Verwaltungsakt, dem der Versicherte in einer Frist von 10 Wochen zu folgen hat. Kommt er dem nicht nach, entfällt mit Ablauf der Frist der Anspruch auf Krankengeld. Allerdings lebt der Anspruch auf Krankengeld wieder auf, wenn der Antrag später gestellt wird.
Zur Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen die Aufforderung siehe weiter unten.
Der Versicherte muss jedoch nicht das möglicherweise bereits ausgefüllte und womöglich mit dem Aufdruck „Eilantrag“ versehene Formular der Krankenkasse benutzen. Der Antrag kann direkt beim Rentenversicherungsträger auf dessen Formularen gestellt werden. Die gesetzte Frist kann bis zum letzten Tag ausgenutzt werden. Die Krankenkasse ist vom Antrag zu unterrichten.
Durch den Antrag wird ein kaum noch beeinflussbarer Verwaltungsablauf in Gang gesetzt. Die Rentenversicherung prüft aufgrund des Antrags zunächst den Anspruch des Versicherten auf „Leistungen zur Teilhabe“. Wenn die Voraussetzungen gegeben sind und eine geminderte Erwerbsfähigkeit abgewendet werden kann, wird dem Antrag entsprochen. Mit der Reha-Maßnahme übernimmt die Rentenversicherung auch die Geldleistungen und zahlt ein Übergangsgeld. Dadurch ruht der Anspruch auf Krankengeld. Das Übergangsgeld ist in der Regel niedriger als das Krankengeld.
Höhe des Übergangsgeldes
Die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld ist 80 % des letzten Bruttoverdienstes, jedoch höchstens der Nettoverdienst.
Von diesem Wert ausgehend beträgt das Übergangsgeld 75 % dieser Berechnungsgrundlage bei Versicherten, die ein Kind haben oder die oder deren Ehegatten pflegebedürftig sind und jeweils vom anderen gepflegt werden, und 68 % der Berechnungsgrundlage für die übrigen Versicherten.
Stellt die Rentenversicherung bei der Prüfung jedoch fest, dass ein Erfolg medizinischer Rehabilitation oder der sonstigen Leistungen zur Teilhabe nicht zu erwarten ist, gilt der ursprüngliche Reha-Antrag automatisch als Rentenantrag. Das gleiche gilt, wenn eine Maßnahme zur Rehabilitation tatsächlich nicht mit dem gewünschten Erfolg beendet wurde (Grundlage: § 116 SGB VI).
Läuft der gleiche Mechanismus ab, wenn ich aus eigenem Entschluss einen Reha-Antrag stelle?
Nein. In diesem Fall behält der Versicherte Einfluss auf den weiteren Ablauf. Selbst wenn ein Reha-Antrag gestellt und die RV fehlende Erfolgsaussichten feststellt, kann der Versicherte der Umdeutung in einen Rentenantrag widersprechen, den Rentenantrag zu einem späteren Zeitpunkt stellen, oder bereits gestellte Anträge zurücknehmen. Er behält seine „Dispositionsfreiheit“.
Allerdings können die Krankenkassen auch dann, wenn ein Versicherter bereits selbst einen Reha-Antrag gestellt hat, eine Aufforderung zum Stellen eines Reha-Antrags nachschieben. Damit verliert der Betroffene sein „Dispositionsrecht“.
Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen – Übersicht
Eine individuelle Beratung ist erforderlich angesichts der komplizierten Regelungen und der Bedeutung des Vorgangs. Individuelle Beratung gibt es im JUNGEN KREBSPORTAL.
Die Aufforderung der Krankenkasse, den Reha-Antrag zu stellen ist ein belastender Verwaltungsakt (Definition in § 31 SGB X). Die Abläufe sind im Überblick auf den Wissensseiten „Krankenkassen & Versicherungen“ dargestellt.
Die Aufforderung der Krankenkasse auf Stellen des Reha-Antrags muss über die Rechtsfolgen belehren. Neben der Information über die mögliche Einstellung des Krankengeldes die Krankenkasse muss sie die Versicherten auch darüber aufklären, dass sie bei der Stellung eines Reha-Antrags in ihrer Dispositionsfreiheit über den Rentenantrag eingeschränkt werden. Bei Verletzung dieser Hinweispflichten ist die Aufforderung rechtswidrig.
Zudem muss die Krankenkasse dem Betroffenen vor Erlass der Aufforderung zur Reha-Antragstellung Gelegenheit zur Stellungnahme geben („Anhörung“), was jedoch nicht immer geschieht. Im Rahmen der Anhörung ist zu informieren, dass und warum eine Aufforderung beabsichtigt ist und auf welche Tatsachen sich die Kasse dabei stützt. Auch sind die Ermessenerwägungen, die zu dieser Absicht führten, offenzulegen. Zugleich muss die Krankenkasse Akteneinsicht gewähren. Dabei ist insbesondere das ärztliche Gutachten (meist des MdK) interessant. Akteneinsicht kann in den Räumen der Krankenkasse erfolgen (Handy-Fotos!). Wird man von einem Anwalt vertreten, werden diesem auch oft die Akten übersandt.
Die Aufforderung der Krankenkasse muss schließlich eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, aus der hervorgeht, bei welchem Adressaten und in welcher Frist der Betroffene Widerspruch einlegen kann.
Legt der Betroffene Widerspruch fristgemäß (1 Monat) ein, ist die Krankenkasse verpflichtet, diesen zu prüfen. Wenn sie die Aufforderung aufrechterhalten will, muss sie den Widerspruch an den Widerspruchsausschuss weiterleiten. Von dort erhält der Betroffene einen Widerspruchsbescheid.
Gegen den ablehnenden Widerspruchsbescheid kann vor dem Sozialgericht Klage erhoben werden. Frist und zuständiges Sozialgericht müssen in der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheids enthalten sein, die auch hier am Ende des Schreibens steht.
Widerspruch und sozialgerichtliche Klage gegen die Aufforderung zur Reha-Antragstellung haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Das heißt, solange nicht endgültig entschieden ist, muss der Betroffene keinen Reha-Antrag stellen.
Diese Hemmung der Pflicht zur Antragstellung durch Widerspruch und Klage entfällt jedoch, wenn die Krankenkasse in ihrem Bescheid die „Sofortige Vollziehung“ (§ 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG) anordnet.
Hat die Krankenkasse die Anordnung der „sofortigen Vollziehung“ bei der Aufforderung zum Reha-Antrag versäumt, kann sie auch später noch einen Antrag auf „sofortige Vollziehung“ beim Sozialgericht stellen.
Auch gegen eine solche Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Krankenkasse kann sich der Betroffene vor den Sozialgerichten mittels Eilrechtsschutzes wehren. Hier ist jedoch eine Einzelfallberatung erforderlich.
Widerspruch gegen die Aufforderung zum Reha-Antrag
Für die Form des Widerspruchs gelten die allgemeinen Regeln, die hier auf den Wissenseiten dargestellt sind. Es ist sinnvoll, den Widerspruch allgemein zu formulieren.
Formulierungshilfe Widerspruch
(Absender: Name, Adresse)
(an die xxKasse, Adresse)
[xxxOrt, Datum]
Betriff: Ihre Aufforderung zum Reha-Antrag vom [xxx]
Widerspruch
Sehr geehrte Damen und Herren!
Hiermit lege ich Widerspruch gegen Ihre o.g. Aufforderung ein. Dieser dient zunächst der Fristwahrung. Die Begründung reiche ich nach.
[xxxFalls keine Anhörung stattgefunden hat:] Bitte teilen Sie mir umgehend schriftlich mit, auf welche Tatsachen Sie Ihre Entscheidung stützen und welche Erwägungen Sie Ihrem Ermessen zugrunde gelegt haben.
[xxxFalls noch keine Akteneinsicht gewährt wurde:] Des Weiteren beantrage ich zeitnah bis zum [xxx Datum] Einsicht in alle für Ihre Entscheidung relevanten Akten.
Mit freundlichen Grüßen
[xxxOrt, Datum]
[xxxUnterschrift mit Vor- und Nachnamen]
Begründung nachreichen
Es ist sinnvoll, die Erkenntnisse aus der Akteneinsicht für die Begründung zu nutzen und sich auf eine positive Beurteilung/Gutachten durch einen Arzt zu stützen.
Bei abgewiesenem Widerspruch ist eine Klage vor dem Sozialgericht möglich. Die Verfahren vor dem Sozialgericht sind grundsätzlich kostenfrei. Ggf. entstehen aber Kosten für die anwaltliche Vertretung.
Weiterführende Informationen:
Im Internet ist eine recht gute Zusammenfassung zur Problematik frei abrufbar:
https://www.haufe.de/sozialwesen/leistungen-sozialversicherung/aufforderung-zum-reha-antrag/muss-die-krankenkasse-zum-reha-antrag-auffordern_242_225712.html
Informativ ist die Seite „Widerspruch gegen die Aufforderung der Krankenkasse zur Reha“:
https://www.haufe.de/sozialwesen/leistungen-sozialversicherung/aufforderung-zum-reha-antrag/widerspruch-des-versicherte-gegen-die-aufforderung_242_225718.html
Weitere Seiten:
https://sozialversicherung-kompetent.de/krankenversicherung/leistungsrecht/898-krankengeld-aufforderungsrechte-krankenkasse.html
Artikel „Die eingeschränkte Dispositionsbefugnis eines Versicherten bei der Stellung eines Reha- oder Rentenantrags“, K. Rieker, in: Die Rentenversicherung, 54. Jahrgang, Heft 1, Januar 2013, S. 1
Zu den Regeln eines Verwaltungsaktes:
https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/recht-a-z/23174/verwaltungsakt
https://de.wikipedia.org/wiki/Verwaltungsakt_(Deutschland)