Polizeidienst
Noch vor einigen Jahren ist in Baden-Württemberg die Einstellung eines jungen Mannes nach geheiltem Hodenkrebs bei der Polizei abgelehnt worden. Auch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht hatte daran nichts geändert.
Ein Verwaltungsgerichtsurteil von 2007 (Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 25.09.2007, AZ 6 K 1534/06) dokumentiert einen besonders krassen Fall.
Ein junger Mann wurde nicht als Polizeibeamter auf Probe eingestellt. Bei ihm war ein Hodentumor erfolgreich behandelt worden. Seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit war wieder gut, sein Risiko eines Krankheitsrückfalls wurde in einem Gutachten als minimal beurteilt. Trotzdem erfolgte keine Anstellung als Beamter auf Probe. Die Begründung des Leiters des ärztlichen Dienstes des Bereitschaftspolizeipräsidiums Baden-Württemberg:
Es „bestehe beim Kläger ein nicht exakt abschätzbares Restrisiko hinsichtlich der Entwicklung eines Tumorrezidivs. Außerdem könnten derzeit mögliche, in der Zukunft bei ihm auftretende chemotherapiebedingte Nebenwirkungen nicht sicher ausgeschlossen werden. Der Kläger könne aus polizeiärztlicher Sicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht als vollkommen geheilt und demzufolge nicht als uneingeschränkt polizeidiensttauglich beurteilt werden.“
Im Prozess wurde dem jungen Mann in einem Gutachten „eine hervorragende psychische und physische Verfassung attestiert …, die Einschränkungen für bestimmte Einsätze im Polizeidienst nicht erforderlich mache.“
Das Gericht wies die Klage dennoch ab und verwies auf den damaligen Stand der Verwaltungsvorschrift PDV 300 ‚Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit‘. Danach durften Kandidaten von der Einstellung ausgeschlossen werden, wenn bei ihnen „schwerwiegende oder gehäuft auftretende Vorerkrankungen, bei denen mit Rückfällen zu rechnen ist“ vorliegen.
Voraussetzungen für die Polizeidiensttauglichkeit und Polizeidienstfähigkeit und die Verwaltungsvorschrift PDV 300
Der Dienstherr legt fest, welche Anforderungen ein bestimmtes Amt mit sich bringt. Nach der im Zuge der sogenannten Föderalismusreform in das Grundgesetz eingefügten Vorschrift des Art. 74 Abs. 1 Nr. 27 GG liegt das Laufbahnrecht der Landesbeamten in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder. Jedes Bundesland kann danach unterschiedliche Voraussetzungen, auch hinsichtlich der Eignung eines Bewerbers für den Polizeivollzugsdienst, festsetzen. Es ist also notwendig, sich über die konkreten Anforderungen im jeweiligen Bundesland zu informieren.
Wer sich für den Polizeidienst bewirbt, wird durch eine Gesundheitsuntersuchung überprüft. Die Polizeiärztlichen Dienste orientieren sich hierzu an der Polizeidienstvorschrift 300 (PDV 300). Ende 2020 wurde eine neue Version der PDV 300 beschlossen[1].
Die Überarbeitung der PDV 300 setzt zwar den Möglichkeiten zur Diskriminierung engere Grenzen, hat leider aber auch noch Lücken. Es kommt sehr auf die individuelle Beurteilung durch den Polizeiarzt und natürlich auf die Anforderungen des jeweiligen Bundeslandes an die Gesundheit an.
Wer sich bis Ende 2020 über die PDV 300 informieren wollte, hatte es sehr schwer. Die Dienstvorschrift war als Verschlusssache für den Dienstgebrauch klassifiziert und damit geheim.
Dies ist bei der neuen Version nicht mehr der Fall. Hier findet sich nur noch der Hinweis „Diese Vorschrift ist ausschließlich für den Dienstgebrauch durch die Polizei bestimmt und urheberrechtlich geschützt…“ Trotzdem haben wir keine offizielle Veröffentlichung der PDV 300 im Netz gefunden. Es sind lediglich an verschiedenen Stellen tabellarische Informationen für Bewerber für den Polizeidienst zu finden.
Dankenswerter Weise hat FragDenStaat Anfang 2023 eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz an das Bundespolizeipräsidium gestellt und die PDV 300 hier veröffentlicht.
In der Anlage zur PDV 300 Nr. 1.1 „Beurteilungsmaßstäbe und die Polizeidiensttauglichkeit ausschließende Merkmale“ finden sich die folgenden Ausschlüsse für die Tauglichkeit für den Polizeidienst:
- schwerwiegende oder gehäuft auftretende Vorerkrankungen, bei denen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit Rückfällen zu rechnen ist und die zur Polizeidienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze führen.
- bleibende Entkräftung oder Schwächung des Körpers nach Krankheiten, Operationen oder Verletzungen
- Einschränkende Folgen von Tumor-, System- und Infektionserkrankungen und ihrer Behandlungsmaßnahmen (z. Β. Operationen, Chemotherapie, Bestrahlung, Immunsuppression etc.)
Immerhin ist die Festlegung unter 1.1.1 jetzt durch die Formulierung „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ eingeschränkt. Sie orientiert sich an dem grundlegenden Urteil des Bundesverwaltungsgerichts BVerwG 2 C 12.11 vom 25.7.2013. Das Urteil wird auf der Seite Verbeamtung eingehend besprochen.
Mit dieser Einschränkung wäre das oben aufgeführte Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart 2007 heute nicht mehr möglich. Denn bei Hodentumoren kann ab einer gewissen Zeit nach der erfolgreichen Behandlung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine vorzeitige Dienstunfähigkeit angenommen werden.
Trotzdem sind die weiteren Maßstäbe in weiten Teilen relativ vage formuliert, so dass es sehr auf die Beurteilung des entsprechenden Polizeiarztes ankommt. Im Streitfall ist die Einholung von medizinischen Fachgutachten und eine Klage vor dem Verwaltungsgericht sinnvoll.
In dem Urteil AZ 2 K 1762/13 des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 31.7.2014 hat das Gericht ausdrücklich bestätigt, dass Genuntersuchungen im Rahmen der Eignungsprüfung für den Polizeidienst nicht verwendet werden dürfen.
Hier hat das Gericht eine klare Grenze gesetzt.
Stand: 20.3.2023
[1] https://ksv-polizeipraxis.de/wer-zur-polizei-will-muss-eier-haben/