Ein veränderter Lebensstil – Jens‘ Geschichte

30. September 2022 – Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag von Jens

Hallo, mein Name ist Jens und ich möchte euch an meiner Geschichte teilhaben lassen. Die Geschichte soll Mut machen und denjenigen in einer ähnlichen Situation ist, Kraft geben.

Meine Geschichte beginnt im Juli 2018, ich bin 29 Jahre alt, IT-Projektleiter bei einem großen Konzern und fühle mich seit Februar diesen Jahres etwas schlapp. Ich habe mir zum Jahreswechsel (wie jedes Jahr) vorgenommen, abzunehmen und mehr Sport zu treiben.

In diesem Jahr gelingt es mir bis zum Juli bestens. Ich schiebe meine Kurzatmigkeit, Abgeschlagenheit und die geringe Kondition also auf meinen geänderten Lebensstil.

Ich bin in einem Meeting und erkläre, wie kritisch es um mein Projekt steht, weil wir zu wenig Personalressourcen haben, um die zukünftigen Pläne zeitgerecht umsetzen zu können. In dieser Zeit ist mein größter Wunsch, die nächste Stufe auf der Karriereleiter zu erklimmen.

Als ich an meinen Platz im Großraumbüro zurückkomme, sieht mich der gegenübersitzende Kollege an und sagt: “Jens, du siehst gar nicht gut aus. Du hast gar keine Farbe mehr im Gesicht, siehst aus wie tot. Geh mal zum Arzt.”

Da ich mich wirklich nicht gut fühle, rufe ich beim Arzt an und vereinbare einen Termin für den nächsten Tag.

Am nächsten Tag wird mir beim Arzt nüchtern Blut abgenommen und mein Gespräch mit dem Arzt war kurz – aus meinen Symptomen konnte er kein klares Krankheitsbild ableiten, er schreibt mich für den Rest der Woche krank und wir warten auf die Ergebnisse der Blutuntersuchung.

„Was bedeutet das für mich?“

Zwei Tage später werde ich vom Klingeln meines Handys im Bad überrascht. Es ist die Arzthelferin, die mir sagt, ich solle umgehend in die Praxis kommen. Ich erkläre ihr, dass ich erst morgen einen Termin zur Besprechung der Blutergebnisse habe. Sie wiederholt ihre Forderung und macht mir deutlich, dass ich jetzt in die Praxis kommen solle. Meine Antwort: “Gut, dann gehe ich schnell duschen und komme gleich vorbei.” – Sie antwortet: “Bitte kommen sie umgehend in die Praxis, ihre Blutergebnisse sind auffällig.”

Als ich in die Praxis komme, bin ich der einzige Patient – es ist ja auch noch vor Öffnungszeit.

Der Arzt empfängt mich mit den Worten: „Das Labor hat die Ergebnisse früher zurückgeschickt, da ihre Werte sehr auffällig waren.“ Er zeigt mir die Auswertung. Vor mir liegt ein Blatt Papier mit 3 Spalten: Links meine Messwerte. in der Mitte der Bereich Normalwerte und rechts ein Indikator ob meine Werte über oder unter den Normalwerten liegen. Es dauert eine Weile, bis ich realisiere, dass nahezu alle meiner Werte nicht normal sind.

Ich merke, der Arzt tut sich schwer, das Gespräch weiterzuführen. Ich frage: „Was bedeutet das für mich?“

„Ich habe den Verdacht auf Leukämie und will sie zur weiteren Diagnostik ins Krankenhaus überweisen.“

Was diese Worte in dem Moment bedeuten, weiß ich zu dem Zeitpunkt nicht. Ich erinnere mich an Guido Westerwelle, der damals an Leukämie erkrankt und verstorben ist.

„Wie lange wird das dauern und muss ich stationär im Krankenhaus bleiben?“ sind meine ersten Fragen. Der Arzt merkt, dass ich mit dem Wort Leukämie nichts anfangen kann und erklärt mir, dass die Krankheit tödlich enden kann, aber in jungen Jahren gute Heilungschancen hat. Im Krankenhaus müsse ich erstmal nur ein paar Tage bis eine Woche bleiben, danach werde man je nach Diagnose weiterverfahren.

Ich bitte den Arzt, mich in ein Krankenhaus nahe meiner Familie zu überweisen. Er will dort anrufen und schickt mich zu dem Zweck ins Wartezimmer. Ich hole mein Handy raus und suche im Internet nach „Leukämie“ – jetzt ist mir richtig mulmig.

Als ich wieder ins Arztzimmer gerufen werde, ist die erste Frage: „Können Sie noch selbst fahren?“ – Ich verstehe die Frage nicht „Sie meinen Autofahren?“ „Ja.“ „Warum sollte ich nicht mehr Autofahren können?!“ „Mir wäre es lieber, wenn sie mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus fahren würden.“ Den Ernst der Lage habe ich zu dem Zeitpunkt immer noch nicht verstanden und überzeuge den Arzt, dass ich mich von meinen Eltern fahren lasse – fahre dann aber selbst ins Krankenhaus.

Den „Krankenhaus“-Teil meiner Geschichte will ich kurzfassen: 3 Zyklen Chemotherapie haben leider nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Durch eine Blutvergiftung fast das Leben verloren – knapp 2 Wochen Aufenthalt auf der Intensivstation.

Stammzelltransplantation vom Familienspender mit vorhergehender Hochdosischemotherapie.

Insgesamt verbringe ich ein gutes halbes Jahr im Krankenhaus – die letzten Monate im Isolationszimmer mit sehr eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten (nur meine Eltern dürfen zu mir ins Zimmer). Gut, dass das Zimmer im EG ist, so können mich Freunde und Familie wenigstens vor meinem Fenster besuchen.

„Zurück zur Normalität“

Die Zeit „danach“ will ich euch detaillierter beschreiben, weil mich diese Zeit bis heute immer daran erinnert, was im Leben wirklich wichtig ist.

Im Krankenhaus (Uniklinik) beobachtete ich morgens die Studenten, welche sich mit teils sichtbar wenig Motivation zu den Vorlesungen quälten. So war ich auch mal – aber jetzt hätte ich, ohne zu zögern mit ihnen getauscht. Ich werde am 22.12. auf meinen Wunsch hin aus dem Krankenhaus entlassen – 3 Tage vor meinem 30. Geburtstag. Meine Eltern holen mich ab und je näher wir dem Ausgang kommen, desto mehr kämpfe ich mit den Tränen. Als sich die Schiebetüren öffnen und mir ein kalter Wind entgegenkommt und eine Schneeflocke ins Gesicht weht, gebe ich den Kampf auf. Eine vorbeigehende Frau schaut mich verwundert an – klar: wer weint denn schon wegen dem Wetter… Aber für mich ist es in diesem Moment viel mehr als das Wetter – ich habe meine Freiheit (wenn auch nur in Teilen) zurück. Ich gehöre wieder mit dazu!

In den kommenden Tagen habe ich noch ein paar dieser Momente: Als ich mit dem Auto alleine (!) zum Arzt fahre kann ich die Leute, welche sich in den Autos vor und hinter mir über den Verkehr aufregen, nicht verstehen. “Wenn die wüssten, welches Glück sie haben, hier im Stau zu stehen und nicht irgendwo im Krankenhaus liegen zu müssen“ denke ich mir.

Bei Gesprächen mit meinen Kollegen konnte ich nicht verstehen, warum sie so genervt von der Arbeit waren – ich wollte so schnell wie möglich dahin zurück.

Zurück zur Normalität – wer arbeitet, ist nicht krank.

Mir wurde klar: Gesundheit ist das Wichtigste im Leben und die meisten Menschen wissen gar nicht, wie viel Glück sie haben, weil sie einfach nur gesund sind!

Wenn ich mich heute im Alltag über etwas ärgere, denke ich an diese Momente zurück und realisiere wieder, wie klein diese Probleme doch im Vergleich zur Gesundheit sind!

Heute geht es mir gesundheitlich gut, außer Fatigue und regelmäßigen Kontrollen ist mir nichts von der Krankheit geblieben. Ich bin seit diesem Jahr verheiratet und werde bald zum ersten Mal Vater.