Ein Gastbeitrag von Katharina
Neue Stadt, neues Glück. Das war mein Gedanke, als ich im Januar 2018 nach Vollendung meines Studiums nach Potsdam zog. Nach einem turbulenten Umzug, stand ich inmitten meiner Umzugskartons. Gleichzeitig erfüllte mich die große Vorfreude: Bald habe ich es geschafft und ich werde meinen Traumjob erreichen: Grundschullehrerin sein. Die einzige Hürde, die mir noch bevorstand, war das Referendariat. Aber hey, das würde ich auch noch schaffen. Abwarten.
Fünf Tage in der neuen Wohnung, bemerkte ich sonntagabends beim Ausziehen einen kleinen Knoten in der Brust. Ich verglich immer wieder mit der anderen Seite. Doch da blieb der Knubbel, der anders war. Ich fragte Google, wie man sich richtig abtastet. Zwar wusste ich es so ungefähr, doch niemand hatte mir zuvor erklärt, wie es richtig ging. Also stand, saß und lag ich und tastete mich intensiv ab. Der Knoten blieb. Was nun?
Am nächsten Morgen erzählte ich meiner Mutter beim Frühstück von meiner Entdeckung. Ihr Rat, das Ganze abklären zu lassen, bestätigte mein inneres Gefühl. Also klemmte ich mich hinters Telefon. Wer in einer neuen Stadt schon einmal versucht hat, einen Frauenarzt zu finden, der kennt voraussichtlich den damit verbunden Stress. Frauenarzt Nr. 6 plante mich endlich für den nächsten Tag als Notfall ein.
„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich hatte noch keine Patientin in Ihrem Alter, bei der es etwas Bösartiges war.“ Das waren die Worte des Gynäkologen, nachdem er mich mit der Überweisung zur Biopsie und der Gewissheit, dass da irgendwas ist, entlassen hat. Auch der Arzt, der einige Tage später die Biopsie bei mir durchführen sollte, hielt meinen Besuch zunächst für etwas unnötig. Bis er den Ultraschall machte.
Zwar war immer noch nicht genau zu sehen, worum es sich nun handelt, doch er versprach mir, dass sie mich wieder gesund machen würden, wenn es Krebs sein sollte. Mir flossen die ersten Tränen. Ich wollte stark sein, doch die Angst nahm überhand. Und mit der Ungewissheit, begann ich mein Wochenende und die Winterferien. Nur 1 Tag, nachdem ich mein Referendariat begonnen hatte.
Für den Tag des Auswertungstermins schmiedeten mein damaliger Partner und ich am Wochenende Pläne. Bei guten Nachrichten wollten wir abends Pizza essen gehen. Schlechte Nachrichten waren nicht eingeplant.
Dann kam der Tag, der mein Leben komplett verändert hat. Klingt wie eine schlechte Zeile eines kitschigen Kinofilms, doch es ist, was es ist. Als mein Partner und ich im Wartebereich des Klinikums saßen, kam die nette Breast Care Nurse auf mich zu. „Frau M., ich würde Sie gerne sprechen, nachdem Sie beim Arzt waren.“ Eine etwas ungünstige Gesprächsreihenfolge, denn damit war die Situation bereits jetzt klar. In Empfang genommen wurde ich von der Chefärztin, die mir erklärte, dass Sie für die besonderen Fälle zuständig sei. Ich war also etwas Besonderes. Zum Glück saß mir eine unfassbar nette, lustige und gleichzeitig einfühlsame Ärztin gegenüber. Ich bekam die Diagnose: Triple negativer Brustkrebs. Mit 25 Jahren. Wenige Wochen später erfuhr ich, dass mein Vater mir auch noch die BRCA1-Mutation vererbt hat, die den Krebs wohl auslöste. Das klang wirklich besonders. Nach besonders großem Mist.
Der Schock hat mich vieles aus dem Diagnosegespräch vergessen lassen, doch ich weiß, dass diese nette und lustige Ärztin mich zum Lachen brachte, obwohl ich gleichzeitig unter Tränen nur eins wünschte: Ich will nicht sterben, bevor ich nicht Lehrerin bin! Mein Traumberuf rückte in die Ferne, denn Schule war in dem Moment ein zu großes gesundheitliches Risiko. Eine Familie wollte ich eines Tages auch haben. Plötzlich war auch das fraglich. Und ist es leider bis heute.
Zwischen den ersten Voruntersuchungen direkt am Diagnosetag, schickte ich meiner Familie aus der Toilette eine Sprachnachricht. Am Nachmittag auch allen anderen Personen, bei denen ich davon ausging, dass sie es wissen sollten. Ich wollte zeigen, dass ich irgendwie klarkam. Dass sich erstmal niemand um mich Sorgen machen muss, denn ich war gut versorgt. Und die Prognose war am Ende ebenfalls gut. Sorgen machte sich natürlich trotzdem jeder, mich eingeschlossen.
Als wir die Klinik verließen, stellte sich schnell die Pizza-Frage. Was tun? Die Pizza sollte zum Feiern sein, zum Feiern war uns nicht wirklich zumute. Doch am Ende mussten wir 1. etwas essen und 2. sollte mir der Krebs nicht gleich alles nehmen. So saßen wir abends beim Italiener, vor uns die Pizzen. „Auf die Hoffnung!“, sagte ich, bevor wir zu essen begannen. Und somit wurde er gegründet: Der Fuck Cancer Eat Pizza-Tag. „Oh, ich glaube fest daran, dass uns Pizza retten kann…“,so heißt es in einem Song über die italienische Köstlichkeit.
Seitdem feiere ich jedes Jahr am Diagnosetag mit meiner Lieblingspizza das Leben und die Hoffnung. Und mit jedem Jahr werden es mehr Menschen, Familie und Freunde aus ganz Deutschland, die an dem Tag mit mir gemeinsam Pizza essen, per Video, in Gedanken oder mit mir an einem Tisch. Mittlerweile so viele wertvolle Menschen im Leben zu haben, erfüllt mich mit tiefer Dankbarkeit!
Der Krebs und die Finanzen
Aber noch einmal zurück zu dem, was nach der Diagnose folgte: Neben Chemotherapie, Mastektomie und Bestrahlungen, beschäftigte mich vor allem eines: Mein finanzieller Absturz. Ich war gezwungen, meinen Platz im Referendariat abzugeben und landete damit sofort beim Jobcenter.
Das Leben mit Hartz IV ist nicht leicht, schon gar nicht, wenn man sich neben dem Überlebenskampf auch noch durch den Bürokratiedschungel kämpfen soll. Die Existenzangst, die all das mit sich brachte, verfolgt mich bis heute. Und klar ist: Wenn man finanzielle Sorgen hat, kann man sich nur schwer darauf konzentrieren, gesund zu werden.
Die ganze Situation war „besonders“. Brustkrebs mit 25 Jahren ist „besonders“. Wie so viele von uns, durfte ich das während der ganzen Therapie spüren. Immer und überall war ich die jüngste Patientin, ich bekam selbst von anderen Patient:innen mitleidige Blicke. Ich wünschte, damals bereits die Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs gekannt zu haben. Insbesondere die Treffpunkte. Leider habe ich erst im Rahmen der jungen Erwachsen-Reha von dem tollen Angebot erfahren. Aber besser spät als nie.
„Die Gesellschaft soll uns sehen“
Seit Frühjahr 2019 bin ich beim Treffpunkt Berlin dabei. Endlich der Ort, an dem ich nicht die „Besondere“ war. Ich wollte mich schnell auch im Orga-Team engagieren, um andere Betroffene zu unterstützen. Daher gründete ich auch 2020 den Treffpunkt Brandenburg, unterstütze die Stiftung in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und bin seit letztem Jahr auch im Patient:innenbeirat.
Ich wünsche mir für die Zukunft, dass kein (junger) Mensch aufgrund von Erkrankungen durch solch extreme Existenzkrisen (insbesondere finanziell) gehen muss. Die Gesellschaft soll uns sehen, auch wenn wir eine Randgruppe sind. Doch wir haben es verdient, wieder ein Teil der Gesellschaft zu werden.
Wie sieht es mit meinem Ist-Zustand aus? Nach einer extrem strapaziösen Zeit mit teils extremen (bürokratischen) Kämpfen, habe ich dieses Jahr im Januar mein Referendariat beendet, bin nun Grundschullehrerin und was soll ich sagen: Nächste Woche werde ich auf Probe verbeamtet. Etwas, dass ich nicht für möglich gehalten hätte.
Ich lebe mit dem Mann zusammen, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen möchte und der sich in mich verliebt hat, obwohl ich ihm noch während der Kennenlernphase von meiner Geschichte erzählt habe. Ich kämpfe zwar weiterhin mit den Nachwirkungen der Erkrankung und versuche mein Leben irgendwie zu händeln. Aber wenn ich jetzt noch krebsfrei bleibe, dann hat die Hoffnungspizza vielleicht doch geholfen.
Wenn du möchtest, dann feiere gerne am nächsten 6. Februar den Fuck Cancer Eat Pizza-Tag mit mir und/oder suche dir ein eigenes Ritual, dass dir durch schwierige Zeiten helfen kann.
Deine Katharina