„Ganz viel Liebe und ein kleines bisschen doofes Schicksal“ – Anikas Geschichte

29. Juli 2022 – Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag von Anika

Ich bin 38 Jahre jung, und ja ich freue mich über jeden Geburtstag, der mich der 40 näherbringt, und ich habe Krebs. Zu mir gehören mein Mann, 44, und unsere drei Terroristen, ähm Kinder, die sich natürlich alle immer über ihren Geburtstag freuen. Und dann gibt es da noch meinen Mitbewohner Adolf, mit all seinen Anhängern, ein ziemlich unangenehmer Kerl, welcher besser keinen Geburtstag mehr feiert.

Angefangen hat alles mit einem kleinen bisschen Schicksal. 2016 habe ich nach mehreren nicht so geglückten Anläufen meinen Mann kennengelernt. Wir haben ein wunderbares Jahr miteinander verbracht, Urlaub gemacht, Konzerte besucht, wir haben Beide endlich gelebt. Wir haben uns noch ein gemeinsames Kind gewünscht, das sollte alles für uns perfekt machen. Anfänglich hatte ich dann immer starke, zyklusabhängige Schmerzen in der linken Leiste. Später gingen die Schmerzen garnicht mehr weg und strahlten in den Oberschenkel aus. Es wurde ein MRT gemacht ohne Ergebnis, bzw. mit dem bööööösen Bandscheibenvorfall, der mir vermutlich niemals Probleme bereitete. Das war Anfang Dezember 2017 und der Beginn einer langen Odyssee. Mein Mann und ich arbeiten beide im sozialen Bereich. Mehrere Monate bin ich noch mit Schmerzen arbeiten gegangen; bis sich Ende Dezember ein viel angenehmerer Mitbewohner anmeldete: unser Sohn. Wir haben am 6. März 2018 geheiratet. Wir waren ganz sicher die glücklichsten Menschen auf der Welt.

Drei Wochen, mehrere Krankenhausbesuche und viele Beteuerungen, dass etwas mit mir nicht stimmt, später war klar, dass in meinem Bauch Leben und Tod zeitgleich existieren. Ich war in der 17. Woche schwanger als man mich fragte, wer von uns beiden überleben soll. Zum Glück ist es ja so, dass es kompetente Ärzte gibt. Nach einer freundlich erbetenen Überweisung meinerseits, wurden meine Unterlagen an ein Sarkomzentrum weitergeleitet. Denn leider war es auch nach zwei Biopsien nicht möglich Adolfs vollen Namen zu ergründen. Es gab so etwa sechs unterschiedliche Namen/Diagnosen und eigentlich ist es bis heute nicht so ganz klar, was da in mir wuchs. „Sie sind wahrlich ein Paradiesvogel“ sagte einmal der Professor zu mir. So blieben wir bei „Sarkom NOS“.

Heute glaube ich, dass mein Sohn das Schlimmste verhinderte. Was der weibliche Körper während einer Schwangerschaft so leistet ist unglaublich. In der 22. Woche wurde mir ein faustgroßer Tumor aus meinem kleinen Becken entfernt, wo er neben unserem Sohn wuchs. Drei Wochen nach dieser OP wurde ich zur Chemo einbestellt, Doxorubicin und Ifosfamid. Trotz dickem Bauch. Ich hatte fruchtbare Angst vor der Chemo und ich bin sehr froh, dass ich diese Chemo dann doch nicht erhielt, zumindest nicht mit Kind unter dem Herzen. So kam es, dass unser Sohn in der 30. Woche entbunden wurde, damit ich behandelt werden konnte. Da das Sarkom derart aggressiv und völlig entdifferenziert war, sollte möglichst wenig Zeit ins Land gehen. Also bekam ich zwei Wochen nach der Geburt unseres Frühchens, im Wochenbett, mit bereits dem ersten Lokalrezidiv die erste Chemo. Ich habe an diese Zeit sehr sehr viele Erinnerungen, Dinge, die ich niemals in meinem Leben vergessen werden. Gute, aber auch sehr viele furchtbare.

Menschliches Leid geht tief unter die Haut, wenn man es überall sieht. Auch ich selbst habe gelitten, ich möchte hier garnicht niederschreiben, wie diese Chemo war; als wenn man sich selbst vergiftet. Mein Immunsystem hat sehr gelitten, ich hatte oft wochenlag Fieber, ich konnte keinen Besuch bekommen von Freunden und Familie, welcher aber auch von allein bald aufhörte (Menschen sind im Allgemeinen eher schlecht in der Lage mit der eigenen Sterblichkeit umzugehen), ich konnte meine Kinder nicht umsorgen und kuscheln, wenn sie krank waren. In den ersten Monaten war ich häufiger im Krankenhaus als zuhause. Mein Mann ging in Elternzeit und schulterte zwei Kinder, ein Frühchen, einen Hund, den gesamten Haushalt und einen Haufen Sorgen will ich meinen. An dieser Stelle an meinen Mann: Du bist mein Held. Im Dezember 2018, nach 5 Zyklen besagten Gifts, erfolgte die R0. Aufatmen. Es schlossen sich 28 Bestrahlungen an. Es ging mir so garnicht gut und so begann das Spiel Patient vs. Arzt erneut. Im März 2019 war die Katze dann aus dem Sack und es zeigten sich fünf von Adolfs Anhängern. Mein Körper war schwach und trotzdem musste es schnell gehen. So kam es zur vierten Operation im April 2019. Die Operation dauerte sieben Stunden. Viele neue Dinge zieren nun mein Körperinneres (mehrere Gefäßprothesen), während andere Dinge ausziehen mussten (Darm, Eierstock).

Nach der ersten Operation musste ich schon aus dem Rollstuhl wieder in die Senkrechte, nach dieser OP war das aber nochmal ein paar Hausnummern größer. Zuerst bekam ich eine schwere Infektion zehn Tage nach Entlassung, Port raus, der wars aber nicht. „Keine Sorge, eine vergessene Tamponade im Bauch sieht anders aus“, ist wohl ein superinfiziertes Hämatom, super.

Im Anschluss gab es dann einen Karzinomcocktail aus Carboplatin und Paclitaxel. Nun, ich kann nicht behaupten, dass dieses Gift besser war. Im Anschluss ging es in die Reha. Zu Beginn konnte ich keine 100m laufen, am Ende packte ich drei Kilometer. Ich erhielt dann noch zwei Jahre Chemo in Tablettenform und bin seit April 2019 tumorfrei.

Ich könnte ein Buch schreiben über all die Menschen, die mir in dieser Zeit begegnet sind und über die blöden Sprüche, die man sich anhören muss, über die gefühlt gesamte Bürokratie Deutschlands und über die ganzen Einschränkungen, die mir diese Krankheit eingebracht hat. Aber lieber erzähle ich davon, dass ich alles habe, was ich mir immer gewünscht habe. Dass ich ein glücklicher und zufriedener Mensch bin, der umgeben ist von der Liebe ehrlicher Anderer, und der in der Lage ist, das Schöne in Allem zu sehen. Auch wenn demgegenüber ein gewisser Zynismus bzgl. Menschen steht. Das Tollste ist, dass mir einfach alles egal ist, was andere über mich denken (auch Ärzte), das war zwar früher schon so, aber heute kann ich das ausleben. Denn nur ich bin wichtig und ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Ich bin gelernte Sozialarbeiterin und ich hoffe bald mein Wissen, beruflich wie privat, anderen jungen Krebspatienten zu Gute kommen lassen zu können. Denn es braucht sich Niemand dafür zu schämen Hilfe zu benötigen und anzunehmen. Wir haben eine Stimme und die muss laut werden.