Ein Gastbeitrag von Julia
Ein Jahr nach meiner Krebsdiagnose 2019 habe ich auf Facebook etwas über die Segelrebellen gelesen – junge (Ex-)Krebspatienten, die zusammen auf einem Segelschiff über offene Meere fahren. Mit segeln hatte ich bis dahin wirklich so gar nichts zu tun. Aber zugegeben, der Gebärmutterhalskrebs mit 34 Jahren hat mich wachgerüttelt und mich dazu gebracht, neue Dinge auszuprobieren, nicht mehr zu warten, einfach zu machen.
Der Zeitpunkt war einfach optimal, ich war noch krankgeschrieben und dank Corona wollte mich mein Arbeitgeber auch so schnell nicht in seinen Büros haben. Also sendete ich meine Bewerbung für einen Törn im August 2020 ab. Leider wurden wegen Corona damals nur noch Wochenend-Törns angeboten, was aber bei der langen Anreise aus Nordbayern für mich nicht interessant war.
Zwei Jahre später habe ich durch Zufall wieder an die Segelrebellen gedacht und mich direkt für den Törn zur Nordseewoche 2022 beworben – und es hat auf Anhieb geklappt! Die Aufregung war groß als es dann wirklich los ging. Mit meinem riesigen 75 Liter-Rucksack + Schlafsack habe ich mich mit der Bahn nach Glückstadt an der Elbe aufgemacht. Im Hafen habe ich sie dann schon von Weitem gesehen – die Magic mit der großen Aufschrift SEGELREBELLEN auf dem Rumpf.
Die Crew bestand aus Skipper Marc, dem Gründer der Segelrebellen, und sieben anderen „Onkis“ zwischen 19 und 40 Jahren. Diejenigen, die schon am Vortag angereist waren, haben bereits den Einkauf für die 8 Tage auf See übernommen und alles verstaut.
Am Nachmittag ging es gleich los auf die Elbe in Richtung Nordsee. Es war schon ein besonderer Moment, als wir zum ersten Mal das große Segel mit der Aufschrift F*CK CANCER GO SAILING hissten, da wussten die anderen Schiffe und die Spaziergänger an Land gleich Bescheid ;-) und für alle, die noch denken, wir wären eine Selbsthilfegruppe auf hoher See:
Ich habe während der ganzen Woche kein jammern, Mitleid (das ist etwas anderes als Mitgefühl!) oder Hoffnungslosigkeit gehört. Aber mehr dazu später.
Die raue See
Am ersten Tag haben wir in Cuxhaven angelegt. Die Kojen wurden verteilt und in der ersten Nacht in einer Viererkabine mit eigentlich fremden aber doch schon vertrauten Menschen konnte ich mit dem sanften Schaukeln auch erstaunlich gut schlafen.
Am nächsten Morgen hätten wir vielleicht doch etwas schneller frühstücken sollen, denn als wir uns in Richtung Helgoland aufmachten waren Wind, Welle und Strömung nicht mehr optimal. Was anfangs noch abenteuerlich war, schlug so Manchem doch bald auf den Magen.
Das Motto wir füttern lieber die Fische, als die Plastikbeutel auf Station hat zwar seine Berechtigung, aber nach einigen Stunden mit nur zähem Vorankommen mussten wir doch die Entscheidung treffen umzukehren, anstatt noch gut 10 Stunden weiter gegen die rauen Wellen zu kämpfen. Das dann aber mit der Konsequenz, dass wir den Stopp in Skagen, dem nördlichsten Punkt Dänemarks, zeitlich in den 8 Tagen nicht mehr schaffen.
Mit ein bisschen Wehmut aber einem deutlich besseren Gefühl im Magen legten wir wieder in Cuxhaven an, um es am nächsten Tag unter besseren Bedingungen erneut zu versuchen. Dass im Leben nicht immer alles nach Plan läuft, wissen wir ja alle nur zu gut.
Bei bestem Segelwetter und mit einem gigantischen Sonnenuntergang voraus schafften wir es am nächsten Abend dann auch wirklich nach Helgoland. Im Hafen hatten schon unzählige Boote angelegt, die am 100-jährigen Jubiläum der „Nordseewoche“, einer Regatta mit verschieden langen Wettfahrten, teilnahmen. Natürlich haben wir gleich unsere Segelrebellenfahne gehisst, um auf uns und unseren gemeinnützigen Zweck aufmerksam zu machen.
Den folgenden Tag nutzten wir zum Sightseeing, zollfrei shoppen und Regatta beobachten. Naja und ein bisschen haben wir auch über die Disziplin auf manch anderen Segelyachten grinsen müssen. Wir waren halt doch eher die Rebellen unter den Seglern…
Frischer Wind und freier Kopf
Früh am Morgen hatten wir mit gutem Wind und Sonne beste Bedingungen, um zurück zum Nord-Ostsee-Kanal zu fahren. Die Manöver klappten mittlerweile auch schon richtig gut und selbst absolute Segelneulinge wie ich wussten schon was zu tun ist, wenn es heißt „fertigmachen zur Wende“. Es war learning-by-doing und jede/r hat jede/n unterstützt.
An diesem Tag spürte ich die absolute Entspannung an Bord. Einfach mal eine Stunde ohne Außenreize außer dem Geräusch des Windes in den Segeln und der Wellen am Bug in die Ferne auf das Meer schauen – ein absoluter Mind-Resetter und Zeit für Fragen wie „Wer bin ich jetzt noch, wie will ich meine Zukunft planen und bin ich auf dem richtigen Weg?“. Die Antworten haben sich hier auf jeden Fall leichter gefunden als an Land.
Mit der Gischt im Gesicht weißt du, dass du am Leben bist und dass du alles erreichen kannst, wenn du aus deiner Komfortzone gehst und die Opferrolle ablegst.
Das Schleusenmanöver bei der Einfahrt in den Kanal bei Brunsbüttel meisterten wir natürlich auch gemeinsam und da war schon ein wenig Stolz auf diesen Zusammenhalt. Aus neun fremden Leuten wurden im Laufe der Zeit Freunde und natürlich tauschte man sich auch über die eigene Erkrankung aus.
Obwohl wir individuelle Vergangenheiten hatten, sind manche Themen einfach die gleichen – Unterbrechung des Studiums oder der Arbeit, Anträge bei Krankenkassen, Familienplanung und Zukunftsfragen. Wer wollte, fand immer ein offenes Ohr. Zum ersten Mal legten wir in dieser Nacht nicht in einem Hafen an, sondern machten an einem Pfahl im Kanal fest.
Gekocht wurde meistens erst spät, oft nach 22 Uhr, und gegessen dementsprechend auch erst in der Nacht. Es fanden sich immer kleine Kochteams zusammen, die ein warmes Essen für die 9 Leute gezaubert haben. Manchmal unter verschärften Bedingungen, sodass man sich zum Kochen sogar „anschnallen“ musste, um bei hohem Wellengang nicht das Gleichgewicht zu verlieren ;-)
Heimreise
Früh um 4 Uhr tuckerten wir unter Motor weiter durch den Nord-Ostsee-Kanal in Richtung Kiel. Die Ostsee ist deutlich ruhiger als die Nordsee und so kam bei schönstem Sonnenschein schnell die Idee auf, endlich das Dingi (ein kleines Schlauchboot ohne Motor) aufzublasen und ala Bananaboat hinter uns her zu ziehen – Baden im Meer inklusive. Einige Schweinswale begleiteten unsere Yacht bis zum dänischen Hafen in HØruphav, wo wir noch ein paar Runden mit dem Dingi paddelten und anderen Seglern zeigten, dass die Segelrebellen angelegt haben.
Ein heftiger Sturm hat uns am nächsten Morgen das Ablegen unmöglich gemacht, da die Hafeneinfahrt sehr schmal war. Im Kartenspielen waren wir schon Profis und vertrieben uns die Zeit außerdem mit Plank-Challenges an Deck, um fit zu bleiben. Die restliche Fahrt nach Flensburg verlief dann ohne Probleme (bis auf die leere Gasflasche, die Küche blieb an diesem letzten Abend trotz vollem Einsatz am Lotusgrill kalt).
Schweren Herzens haben wir am nächsten Tag das Schiff geputzt und die Heimreise in die unterschiedlichsten Regionen der Bundesrepublik und Österreich angetreten. Teilweise bestehen die Kontakte noch heute und ein Wiedersehen ist nicht ausgeschlossen.
In diesem Jahr gibt es von Mai bis September wieder tolle Törns der Segelrebellen auf der Ostsee, sogar nach Kopenhagen, Göteborg und Bergen. Wenn du auch dabei sein möchtest, zwischen 18 und 40 Jahren alt bist und eine Krebserkrankung hast oder hattest, bewerbe dich doch über die Homepage der Segelrebellen.
Ich werde auf jeden Fall zur Wiederholungstäterin, denn ich habe lange Zeit von diesem Abenteuer gezehrt und Kraft und Mut für die Zukunft geschöpft!