Von 0 auf 42 – Mein Weg zum Marathon

15. Mai 2019 – Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag von Miriam

Ich liebe es zu laufen. Einfach die Schuhe anziehen und loslaufen. Die Straße entlang, durch den Wald oder den Feldweg hinauf. Bei Sonne, bei Regen oder durch den Schnee. Soweit meine Beine mich tragen und so lange die Motivation reicht. Eine Woche ohne meine regelmäßigen Runden, unvorstellbar. Manchmal in der Gruppe beim Lauftreff, mal mit Freunden oder alleine mit meinen Gedanken.

Den Wind auf der Haut spüren, einfach loslaufen zu können wohin ich möchte weckt ein unglaubliches Gefühl von Freiheit in mir. Immer Größere Distanzen zu überwinden und zu spüren wie stark mein Körper ist gibt mir Sicherheit. Im April 2018 lief ich meinen ersten Marathon im schönen Hamburg. An sich nichts Ungewöhnliches. Immerhin gehen jedes Jahr ca. 25.000 Läufer in Hamburg an den Start. Die Geschichte, die mich zum Laufen und letztendlich zum Marathon geführt hat, ist allerdings nicht ganz alltäglich.

Im Alter von 26 Jahren erkrankte ich an einer AML (Akute Myeloische Leukämie). Von der Diagnosestellung hin zur ersten Chemotherapie ging alles ziemlich schnell. Notwendiger Weise keine Frage. Allerdings zu schnell, um begreifen zu können was eigentlich gerade passiert. Eine AML ist ziemlich aggressiv. Auch wenn gleich zu Anfang eine sehr große Chance auf Heilung bestand, hatte ich ziemlich zu kämpfen. Da ich nur selten halbe Sache mache, nahm ich so ziemlich jede Nebenwirkung mit, die die Chemo zu bieten hatte. Eine dieser Nebenwirkungen war eine chronische Herzmuskelentzündung. Tagelang durfte ich mein Bett nicht verlassen. Zu schwach war mein Herz. Die Gesichter der Ärzte verfinsterten sich von Tag zu Tag aus Sorge ich könnte den Kampf verlieren. Zu fühlen wie mein Körper immer schwächer wurde, wie mein Herz immer langsamer schlug, war ein Gefühl, das ich nicht akzeptieren wollte. Zu groß war die Lebenslust in mir und zu stark mein Dickkopf. Aufgeben, keine Option.

Als der Tag kam, an dem ich wieder aufstehen durfte, fing ich an mich zu bewegen. Anfangs watschelte ich wackelig und in Begleitung den Krankenhausflur entlang.  Später versuchte ich mich dann im Treppensteigen. Erst eine, dann zwei, irgendwann ein ganzes Stockwerk. Mehrmals täglich erkundete ich meine Station auf diese Weise und dieses Ritual wurde schnell fester Bestandteil meines Krankenhausalltags. Meine Muskeln wurden stärker und mein Körper erholte sich. Doch ein Problem mit dem Herzen blieb zurück. Eines womit ich wohl leben musste, welches mich aber nicht daran hindern würde alt zu werden. Und genau das war mein Ziel.

Nach vier Monaten Isolation auf der Quarantänestation durfte ich endlich nach Hause. Meine Spaziergänge blieben auch außerhalb der Krankenhausmauern Teil meines Lebens. Allerdings in der freien Natur. Die Diagnose Leukämie bedeutete nicht nur eine lebensbedrohliche Krankheit in mir zu tragen. Für mich bedeutete es auch meine Freiheit aufzugeben. Für eine Zeit jedenfalls. Eine Zeit die sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlte. Es ist schon seltsam was ich in dieser Situation für Dinge vermisst habe.  Keine besonderen Ereignisse oder Erfahrungen. Es war das Alltägliche was mir gefehlt hat. Der langweilige triste Alltag. Und am meisten den Wind auf meiner Haut spüren zu können.

So wurde die regelmäßige Bewegung langsam zu einem Tick. Nach einer Zeit reichten mir die Spaziergänge nicht mehr und ich begann zu laufen.

Die Angst lief jedes Mal mit. Wenn mein Puls schneller wurde und mein Herz kräftiger schlug war sie da. Aus Unsicherheit wandte ich mich an meinen Onkologen. Dieser versicherte mir, Sport sei gut für mich und ich soll in jedem Fall weiter machen. Solange ich mich dabei gut fühle und ich mich nicht überanstrenge.

„Leistungssportler werden Sie in Ihrem Leben wahrscheinlich nicht mehr. Einen Marathon zu laufen hatten sie wahrscheinlich eh nicht vor.“ Zu diesem Zeitpunkt tatsächlich nicht.

Aus dem kleinen Tick wurde schnell eine Art Sucht. Aus der Sucht wurde Leidenschaft und so drehte ich regelmäßig kleine Runden. Mal gehend, mal laufend und immer unter Beobachtung meiner Ärzte.

Zu meinen Nachsorgeterminen gehörte auch ein regelmäßiges Herz Echo. Eines schönen Tages, bei einem solchen Termin, teilte mir der Radiologe mit, womit wohl niemand gerechnet hatte.

„Sie haben ein junges und dynamisches Herz.“

Mein Herz hatte sich vollständig erholt und von der Herzmuskelentzündung war nichts mehr zu sehen. Die Geburtsstunde meiner Läuferkarriere.

Und so tat ich es sieben Jahre später dann eben doch. Ich bin einen Marathon gelaufen. Mittlerweile habe ich die Distanz von 42,195 km bereits dreimal bezwungen und ich werde es mit Sicherheit wieder tun.

Letztendlich hat mein Onkologe doch Recht behalten. EINEN Marathon bin ich nicht gelaufen.

Es war kein leichter Weg. Langsam und stetig habe ich meinen Körper auf diese Herausforderung vorbereitet. Viele liebe Menschen haben mich unterstützt und mit mir ihr Wissen und Erfahrungen geteilt. In der ganzen Zeit war ich unter ärztlicher Beobachtung. Praktischer Weise ist meine Hausärztin im gleichen Verein.

Erst habe ich gelernt bis zu 30 min am Stück laufen zu können. Immer wieder durch den Wald mit Gehpausen, so lange bis ich die Gehpausen weglassen konnte. Danach habe ich Kilometer aufgebaut. Erst 5 km, dann 10 km, irgendwann 15 km. Von da an war der Halbmarathon nicht mehr weit. Und ich erwähnte ja bereits: halbe Sachen mache ich nur selten. Drei bis viermal die Woche ziehe ich meine Laufschuhe an und ich versuche mindestens einmal die Woche Krafttraining in meinen Trainingsplan aufzunehmen.

Einen enormen Unterschied zu meinen Laufkollegen gibt es allerdings schon. „Wenn man seine Leistung steigern möchte, muss man auch mal über seine Grenzen hinausgehen.“ Ein Satz den jeder Läufer schon mal gehört hat. Aber genau das fällt mir schwer. Ich habe gelernt auf meinen Körper zu hören. Und wenn er mir sagt hier ist Schluss, dann ist für mich Schluss. Ich habe sehr lange gebraucht, um unterscheiden zu können ob mein Körper mich nun warnen möchte oder der innere Schweinehund sich da zu Wort meldet. Und es gelingt mir auch heute nicht immer. Ich setze mich bei jedem Training mit meinem Körper auseinander, versuche in mich reinzuhören. In den letzten Jahren haben wir uns immer besser kennen gelernt mein Körper und ich. Wir sind ein Team geworden und passen auf uns auf. Manchmal muss allerdings auch der innere Schweinehund gewinnen. Er gehört ja auch zum Team.

Auf Krebs kannst du dich nicht vorbereiten. Es gibt kein Patentrezept, um dies durchzustehen. Niemand kann sagen wie es ausgehen wird. Es bleibt nur das Leben was man hat zu genießen und jeden Moment des Glückes zu speichern. Unser Wille kann mehr bewegen als wir glauben. Deshalb dürfen wir niemals aufgeben.