Wofür es sich zu kämpfen lohnt! – Sarahs Geschichte

29. Oktober 2022 – Gastbeitrag

Ein Gastbeitrag von Sarah

Von meinem Familien- und Babyglück nach Brustkrebs

Ich bin Sarah, 33 Jahre alt und erhielt im Frühjahr 2020 mit 30 Jahren die Diagnose multizentrischer hormonrezeptor-positiver Brustkrebs nachdem ich einen von am Ende 3 kleinen Knoten selbst getastet hatte. Bis 9 Monate zuvor hatte ich unsere Tochter (zum Zeitpunkt der Diagnose gerade einmal 1 3/4 Jahre alt) gestillt. Aus diesem Grund war ich mir zunächst nicht sicher, ob ich mich mit meinem Tastbefund bei meiner Gynäkologin vorstellen sollte, denn es war doch tatsächlich am wahrscheinlichsten, dass es sich um ein Relikt des Stillens handelte. Zudem hatte ich keinerlei Risikofaktoren für eine Brustkrebserkrankung und auch keine positive Familienanamnese. Ich tat es dennoch und bin meiner Gynäkologin bis heute unglaublich dankbar, dass sie mich ernst genommen hat und eine sofortige Abklärung mit Überweisung ins nächste Brustzentrum in meiner Heimatstadt einleitete. Nicht selbstverständlich wie ich in den kommenden Monaten im Austausch mit anderen Betroffenen feststellen musste!

Ich ging zunächst relativ entspannt zu dem Abklärungstermin im Brustzentrum. Da ich nicht mit etwas Schlimmem gerechnet hatte. Umso mehr wurde ich emotional völlig überfahren, als die Ärzte im Brustzentrum höchst alarmiert waren und den Befund für sehr suspekt hielten. Mir flossen die Tränen, als die Verdachtsdiagnosen und die Konsequenzen hieraus gefühlt durch den Raum flogen. Ich muss dazu sagen, da ich selbst Ärztin bin, verstand ich jedes einzelne Wort und die Kollegen nahmen angesichts der vor ihnen sitzenden Kollegin verständlicherweise kein Blatt vor den Mund. Dennoch war ich in dieser Situation Patientin, allein ohne die Unterstützung meines Mannes dort und emotional einfach völlig überfordert. Ich dachte an meine kleine Tochter und dass sie jetzt schlimmstenfalls ohne ihre Mama aufwachsen müsste. Noch beim selben Termin erhielt ich eine Mammographie, sollte 2 Tage später zum MRT und 3 Tage später zur Stanzbiopsie wiederkommen. Ich verließ das Klinikum und rief völlig aufgelöst und geschockt meinen Mann an, der etwa 1h entfernt auf Arbeit an unserem Wohnort war. Er machte sich sofort auf den Weg, um mich abholen zu kommen, denn in meinem emotionalen Zustand in dem Moment wollte ich auf keinen Fall selbst mit meiner Tochter Auto fahren. Direkt nach dem Telefonat mit meinem Mann rief ich meine beste Freundin an, denn ich musste all die Gedanken in meinem Kopf irgendwie loswerden. 20 Jahre waren wir zu dem Zeitpunkt bereits befreundet und in jenem Moment wusste ich wieder einmal, so klar wie wahrscheinlich nie zuvor, warum: die Tränen flossen in Strömen durch das Telefon. Es konnte ohne Hemmung einfach alles raus, was sich während des Termins im Brustzentrum an Gefühlen aufgebaut hatte. Ich bin ihr so unfassbar dankbar für diesen Moment der Unterstützung!

Es begann die Zeit der Ungewissheit. Doch schon 3 Tage später ergaben die Befunde des MRT eine Diagnose, die dann durch die Biopsie endgültig bestätigt wurde: hormonrezeptor-positives multizentrisches Mammakarzinom!!!

Ich kann dieses Gefühl und die Gedanken schwer in Worte formulieren, die mich und meine kleine Familie überrollten. Es fühlte sich so an, dass all meine/unsere gemeinsamen Träume und Lebenspläne in Scherben vor uns lagen. Einer der schlimmsten und quälendsten Gedanken hierbei war die Frage nach einem möglichen Verlust der Fruchtbarkeit durch die bevorstehende Chemotherapie. Unsere weitere Familienplanung war ein hoch aktuelles Thema und eigentlich hätte unsere Tochter noch Ende des gleichen oder Anfang des nächsten Jahres ein Geschwisterchen bekommen sollen. Stattdessen überkam mich nun die omnipräsente Angst in jenen Tagen, ob ich nach der Therapie jemals wieder würde eigene Kinder bekommen können. So schnell es möglich war, vereinbarten wir einen Termin am universitären Kinderwunschzentrum an unserem Wohnort. Wir erfuhren, dass dieses glücklicherweise über eine sehr große Expertise auf dem Gebiet verfügte. Beim ersten Beratungstermin entstand so auch bereits der „Fahrplan“ über das Verfahren zur Fruchtbarkeitserhaltung. Wir entschieden uns für die Kryokonservierung von Eizellen.

Die Therapie beginnt

Ich entschied mich nach Vorliegen des Tumorboardbefundes in Absprache mit meinem Onkologen, dem ich mich für die systemischen Therapien vorgestellt und anvertraut hatte, mich zuerst operieren und im Anschluss eine adjuvante Chemotherapie durchführen zulassen, gefolgt von einer knapp 6-wöchigen Bestrahlung und einer antihormonellen Therapie mit Tamoxifen. Über die Recherche zu den Möglichkeiten fruchtbarkeitserhaltender Maßnahmen kam ich das erste Mal mit der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs in Kontakt. Die Ärztin im Brustzentrum hatte mir geraten, mich an die Stiftung zu wenden, da diese auch zu der Fragestellung der Kostenübernahme für fruchtbarkeitserhaltenden Maßnahmen beraten würden. Leider wurde mein Antrag auf Übernahme der Kosten für die furchtbarkeitserhaltenen Maßnahmen von meiner gesetzlichen Krankenkasse trotz Widerspruch ebenso abgelehnt, obwohl es das bereits existierende Gesetz gab. So wie mir erging es leider vielen anderen Betroffenen auch. Die Kosten für die Kryokonservierung der Eizellen trugen wir am Ende vollständig selbst. Uns war es das bei unserem dringlichen Kinderwunsch ohne Überlegung wert. Glücklicherweise waren wir finanziell dazu in der Lage, diese Kosten auch ohne Beteiligung der Krankenkasse zu übernehmen. Seit 2021 mit der Einigung über die Richtlinie zur Kryokonservierung von Ei- oder Samenzellen bei keimzellschädigender Therapie übernimmt die Krankenkasse nun zumindest die jährlichen Lagerungskosten für unsere kryokonservierten Eizellen.

Im Dezember 2020 endete meine Akuttherapie mit dem Ende der Bestrahlung. Seit November nahm ich nun bereits Tamoxifen für die adjuvante antihormonelle Therapie ein. Auch hier musste ich mich mit dem Gedanken auseinandersetzen, wie sich die antihormonelle Therapie direkt nach der Chemotherapie auf meine Fruchtbarkeit auswirken würde. Zudem hatte ich während der Chemotherapie ein GnRH-Analogon erhalten als Versuch, die Keimzellen in den Ruhezustand zu setzen und sie somit etwas vor der Chemotherapie zu schützen. Chemo, GnRH-Analogon, Tamoxifen – alles Medikamente mit einem starken potenziellen Eingriff in den weiblichen Zyklus. Ein sehr beklemmendes Gefühl angesichts meines starken Kinderwunsches. Immerhin wusste ich, dass wir unsere kryokonservierten Eizellen als Rückfallebene hatten. Ich glaube, diese Gewissheit nahm uns ein wenig den Druck aus der Thematik. Ich hatte zunächst stark mit ein paar typischen Nebenwirkungen des Tamoxifen zu kämpfen. Als besonders belastend empfand ich hierbei die Schlafstörungen. Es ist für mich keine dauerhafte Option, in den Nächten nur 2-3 Stunden zu schlafen, wenn der berufliche Wiedereinstieg bevorsteht und voranschreitet und natürlich ebenso das Leben mit der Familie weitergeht. Als Mama kann man sich eben trotz großartigen engagierten Partners nicht einfach auch mal tagsüber herausnehmen und im beruflichen Klinikalltag ebenso nicht! So arbeiteten mein Onkologe und ich stetig daran, die passende Dosierung des Tamoxifen zu ermitteln und dabei eine Lebensqualität und zugleich eine therapeutische Wirkung zu gewährleisten.

Anfang 2021 setzte mein Zyklus wieder ein und wurde schnell regelmäßig. Mein Optimismus und meine Hoffnung wuchsen, dass wir vielleicht doch in nicht allzu großer Ferne erneut Eltern werden könnten. Ich gab meinem Körper noch etwas Zeit, sich von der langen Therapie zu erholen und nahm mir die Zeit für meine Familie und den Wiedereinstieg in meinen Beruf. Mein Mann und ich sprachen sehr ausführlich und ehrlich über das Thema Schwangerschaft und Stillen nach hormonrezeptor-positivem Brustkrebs. Dabei ging es auch um den zeitlichen Rahmen, wann ich beginnen würde, die antihormonelle Therapie zu pausieren und was dies im worst case-Szenario als Konsequenz mit sich bringen könnte. Ich recherchierte zudem viel in der medizinischen Fachliteratur. Um es deutlich zu sagen: nach heutigem Stand der Wissenschaft wird Frauen nach hormonrezeptor-positivem Mammakarzinom im Gegensatz zu früher nicht mehr generell davon abgeraten, schwanger zu werden!!!1) Dennoch musste die antihormonelle Therapie mit Tamoxifen für die Erfüllung unseres Kinderwunsches unterbrochen werden. Ob eine unterbrochene antihormonelle Therapie für eine „Babypause“ riskant ist, wird seit 2014 in einer internationalen Studie untersucht, die noch bis 2028 läuft.2,3) Bekannt ist nach heutigem Wissensstand, dass eine Schwangerschaft nach Brustkrebs das Rezidivrisiko nicht erhöht. Die Entscheidung, die antihormonelle Therapie zu unterbrechen ist eine hoch sensible und individuelle Entscheidung jeder Betroffenen bzw. jedes betroffenen Paares! Dies ist mir sehr wichtig zu betonen! Uns fiel diese Entscheidung nicht schwer. Wohl aber setzten wir uns „brutal“ ehrlich mit den möglichen Szenarien und Konsequenzen auseinander. Hierbei formulierten wir auch einmal deutlich den Gedanken, dass mein Mann, sollte wirklich der unwahrscheinliche worst case eintreten, zu einem Zeitpunkt in der fernen Zukunft alleinerziehender Witwer mit 2 Kindern sein könnte. Dies war uns sehr wichtig, um diese Entscheidung guten Gewissens treffen zu können.

Im Herbst 2021 setzte ich das Tamoxifen in Rücksprache mit meinem Onkologen und meiner Gynäkologin ab. Nun musste ich eine 2-monatige Karenzzeit einhalten, bevor ich schwanger werden durfte, damit das Tamoxifen vollständig aus dem Körper eliminiert werden konnte. Doch ehrlich gesagt, wir rechneten nach der Therapie eher damit, dass es eine Weile dauern würde, bis eine Schwangerschaft eintritt. Im Januar 2022 begann ich meine erste Rehabilitationsmaßnahme als Mutter-Kind-Reha. Als ich hier feststellte, dass meine Menstruation ausblieb, wagte ich kaum zu hoffen, dass ich tatsächlich schon schwanger war. Schließlich befand ich mich erst im 2.Zyklus nach dem Ende der Karenzzeit! Ein Schwangerschaftstest brachte Gewissheit über dieses wundervolle Glück. ICH WAR SCHWANGER!!! :) Einige Wochen später beim ersten Ultraschall kam die nächste Erleichterung: alles war in Ordnung, das Herz des Babys schlug. Auch beim Ultraschall am Ende des 1. Trimesters war alles in Ordnung und somit die kritische Phase überstanden. Jetzt erzählten wir unserer kleinen Tochter, mittlerweile fast 4 Jahre alt, dass sie bald große Schwester würde. :)  Mein Herz ging auf als ich ihre Freude sah. Da waren wir, eine überglückliche kleine Familie in Erwartung eines weiteren Familienmitglieds, 2 Jahre nach der Diagnose Brustkrebs!

Die Schwangerschaft verlief völlig unkompliziert. Dennoch galt ich auf Grund meiner Vorgeschichte als „Risikoschwangere“. Dies war ein Umstand, den ich erstmal akzeptieren musste, ging es mir doch gut und ich hatte weitaus weniger Schwangerschaftsbegleiterscheinungen als andere Schwangere ohne meine Vorgeschichte. In der Frühschwangerschaft hatte ich meinen regulären Nachsorgeultraschall. Hier erzählte ich der Radiologin, die mich nun schon seit 2 Jahren regelmäßig untersuchte, von der Schwangerschaft. Von nun an erhielt ich während der Schwangerschaft eine Ultraschallkontrolle alle 3 Monate anstelle alle 6 Monate. Ich muss gestehen, dass diese nochmal intensivere Nachsorge und Kontrolle für mich zuweilen psychisch auch 2 Seiten hatte. Natürlich gab es mir Vertrauen und beruhigte mich, so engmaschig kontrolliert zu werden und mir der Unterstützung meiner Behandler/innen gewiss zu sein! Auf der anderen Seite ist für mich dieses Gefühl, ständig unter Beobachtung zu stehen, ob sich irgendetwas verändert, das vielleicht etwas sein könnte, in manchen Momenten auch belastend. So unbeschwert wie meine 1. Schwangerschaft mit meiner Tochter 4 Jahre zuvor war diese nach der Krebserkrankung- und -therapie eben doch nicht…

So ging auch direkt das Kopfkino in mir an, als bei einer der Ultraschallkontrollen die Radiologin sagte, sie würde zur Sicherheit eine Struktur, die über die vergangenen Untersuchungen stetig ein wenig gewachsen sei, sicherheitshalber biopsieren wollen. Sie betonte auch, dass sie davon ausgehe, dass es sich um eine gutartige Zyste handelte, die hormonell bedingt über die vergangenen Monate gewachsen sei. Aber ganz sicher konnte ein bösartiger Befund nur durch eine histopathologische Untersuchung ausgeschlossen werden. So war es dann auch, es handelte sich um eine Zyste und ich hatte Gewissheit.

Die Ultraschalluntersuchung mit Organscreening unseres Babys um die 20. Schwangerschaftswoche wurde nach Überweisung durch meine Gynäkologin im Zentrum für Pränataldiagnostik an der Uniklinik durchgeführt. Auch hier erfolgte auf Grund der Anamnese und der Umstände, dass unser Baby bis hierhin eher zart war aus Sicht der Messungen, eine weitere Kontrolle 6 Wochen später. Alles war in Ordnung, die Werte von mir und meinem Baby waren musterhaft ! :)

So konnte ich die weitere Schwangerschaft genießen und mich über den Sommer zusammen mit meiner Familie auf unser Baby freuen. Hierbei verbrachten wir so viel Zeit wie möglich miteinander zu dritt im sonnigen Norden an der Ostsee bevor bald ein anderes kleines Wesen den Takt vorgeben würde J Mitte September war es dann endlich so weit: unser Sohn erblickte das Licht der Welt, völlig gesund und einfach nur perfekt!

Noch am selben Tag kehrten wir mit unserem Bündel voll Glück heim und stellten den kleinen Mann seiner großen Schwester vor :) die Kuschelzeit in diesen ersten Stunden zu Hause war so wunderschön und emotional, dass ich es hier gar nicht weiter beschreiben kann. Wir haben uns mit all den üblichen Begleitumständen gut zu viert zurechtgefunden und genießen die Zeit. Ich kann nach Mastektomie auf der erkrankten Seite bis heute mit der gesunden und erhaltenen Seite voll stillen, was mir sehr wichtig ist und ich bin so glücklich, dass es funktioniert. :) Natürlich ist es manchmal auch sehr anstrengend nach so einer Erkrankung mit einem Neugeborenen und einem 4jährigen Kleinkind den Alltag zu meistern. In diesen Momenten muss ich mir dann eingestehen, dass ich nicht mehr ganz so belastbar bin, wie früher bzw. genauer formuliert, mehr Zeit für die Regeneration nach Belastungen brauche. Mein Mann hatte direkt im 1. Lebensmonat Elternzeit und anschließend noch Urlaub genommen und unterstützt mich großartig wie auch schon während der gesamten onkologischen Therapie! Man kann sagen, wir haben das Eheversprechen „in guten, wie in schlechten Zeiten…“ wörtlich genommen und leben es! Momentan hat sich für uns alles zum Guten gewendet und unser Kampfgeist und Durchhaltevermögen wurde belohnt. Dafür bin ich jeden Tag dem Leben zutiefst dankbar!!! :) :) :)